Inoffiziell:Leomir von Eychgras/Aufzeichnungen

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Dieser Artikel enthält Meisterinformationen/Spoiler zu: Borbaradkampagne
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Dies sind die Aufzeichnungen des Zweiten Gezeichneten Leomir von Streitzig, der seit der Schlacht an der Trollpforte als verschollen gilt, von dem aber befürchtet werden muss, dass er wohl nicht mehr unter uns weilt, sondern nun den Sternenhimmel schmückt. Zeit seines Lebens hielt er sie geheim, doch gelang es einem Agenten der Kaiserlich-Garethischen Informations-Agentur glücklicherweise, diese Pergamente sicherzustellen und ins Archiv zu bringen, wo sie seitdem aufbewahrt werden.
Sie enthalten auf den ersten Seiten die wirren Gedanken eines Dieners Phexens sowie seines Mentors, wohl noch aus der Zeit vor seiner Weihe. Doch dann geben diese Seiten uns einmalige Einblicke in die Entwicklung der sogenannten Sieben Gezeichneten, so dass die Dokumente als von historischer Bedeutung anzusehen sind. Ob ihres gefährlichen Gedankenguts sollten sie dennoch auch weiterhin als streng geheim behandelt werden.


Die Kirche des Phex/Feqz

Die wichtigste Lektion im Leben eines Phexgeweihten: Blicke hinter den Schleier – nichts ist, wie es scheint.
Dazu gehört auch:
I. seine Mitmenschen nicht zu unterschätzen.
II. seine eigenen Fähigkeiten nicht zu unterschätzen.
III. seine Mitmenschen nicht zu überschätzen, egal, ob Freund oder Feind.
IV. sich selbst nicht zu unterschätzen, sondern Vertrauen in seine Fähigkeiten zu haben.

Hinter den Schleier zu blicken bedeutet, Informationen zu sammeln, denn nur mit ausreichend Informationen kann man Situationen richtig einschätzen und Entscheidungen treffen.
Deshalb sammelt jeder Geweihte Informationen.

Zwei Arten von Klassifizierungen:

I öffentliche Geweihte – geheime Geweihte

II a Händler
b Diebe
c Jäger der Nacht
d Magie
e Informationssammler
f Mystiker

zu a:
Es gibt sowohl Händler, die ihr Leben geheim Phex geweiht haben, als auch solche, die in öffentlichen Tempeln Verträge abschließen und segnen.

zu b:
Wie bei allen Geweihten zählt auch bei den Dieben nicht nur der Gewinn, sondern vor allem auch der Weg dorthin. Es geht darum, sich eine Herausforderung zu suchen, dennoch muss am Ende der Gewinn auch das Risiko Wert sein.

zu c:
Die Jäger der Nacht sind eine Strömung in den Tulamidenlanden, wo die Praioskirche schwach ist. Sie jagen Verbrecher, deren Taten selbst mit den Prinzipien Phexens nicht vereinbar sind.

zu d:
An jeder Akademie und auch in den Reihen anderer Magiebegabter gibt es sowohl heimliche als auch öffentliche Geweihte in allen Positionen, die die Geheimnisse der Magie ergründen und Informationen sammeln.

zu e:
Zwar gilt, dass jeder Geweihte Informationen sammeln sollte, doch gibt es Geweihte, die sich darauf spezialisiert haben.
Wichtig ist dabei, die Informationen auch ordnen, sortieren und Verknüpfungen erstellen zu können.

zu f:
Zwar strebt jeder Geweihte danach, Phexens Willen zu ergründen, doch gibt es auch Mystiker, die allein das tun, um die Rätsel, die Phex uns stellt zu ergründen.

Trotz dieser Einteilungsmöglichkeiten gibt es nicht die Phexkirche.
Die Kirche ist sehr vielfältig, da sie eine Ansammlung von Menschen mit unterschiedlichsten Beweggründen und Zielen ist, die alle den Glauben an Phex gemein haben.
Dabei ist jeder Geweihte für sich selbst verantwortlich, aber dafür auch frei zu tun, was immer er möchte. Seine Taten hat er nur vor Phex zu verantworten. Der Tempeldienst beruht auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung.

Ein wichtiges Gebot der Kirche lautet: Gebe niemals, ohne eine angemessene Gegenleistung erwarten zu können. Man geht also immer einen Handel ein. Denn: Das Handeln erst hat die Entwicklung von Zivilisation möglich gemacht. Wenn jede Stadt nicht alles, was sie braucht, selbst produzieren muss, sondern Handel treiben kann, ermöglicht das, dass sich die Städte auf bestimmte Waren spezialisieren können.
Dies wiederum führt dazu, dass Wissen nicht so schnell verloren geht und die Kreativität erhöht wird. Völker, deren Gesellschaft auf dem Rabu von Gütern basiert, sind zurückgeblieben und primitiv, wie man an den Ferkina sehen kann.

Das Prinzip von Leistung und Gegenleistung stellt auch kein Problem für heimliche Geweihte dar, denn das gesamte gesellschaftliche Leben basiert auf diesem Prinzip.
Gerade im Umgang mit Fremden wird jeder Mensch darauf bestehen, dass ihm seine Leistungen auf die eine oder andere Weise vergolten werden. Probleme könnten sich auf den ersten Blick nur im Umgang mit Freunden und Familie ergeben, aber auch diese Behauptung hält einem zweiten Blick nicht stand: Auch im Freundeskreis ist das Prinzip allzeit präsent, es ist nur verdeckt. Unausgesprochen erwartet jederman, dass seine Freunde dasselbe bereit sind für ihn zu tun, was man für sie zu tun bereit ist. Das Nicht-Ausprechen dieser Forderung erlaubt es den Menschen einander zu vertrauen. Man vertraut darauf, dass Freunde es einem danken werden, wenn man für sie einsteht.

Wie steht es aber mit selbstaufopferungsvollen Menschen wie den Traviageweihten?
Hier gibt es zwei Erklärungen; welche davon zutrifft, darüber gibt es leidenschaftliche Diskussionen.

I Auch diese Menschen verlangen eine Art von Gegenleistung, auch wenn sie das nicht offensichtlich und bewusst tun.
II Da dies ausschließlich sehr religiöse Menschen sind, ist es möglich, dass die eingeprägten Prinzipien einer Gottheit das Bedürfnis nach Leistung und Gegenleistung unterdrücken oder sogar tilgen.

Eslams Meinung hierzu:
Das Bedürfnis nach Leistung und Gegenleistung ist eine Gabe Phexens, die jeder Mensch in sich trägt, weil sie ihm sozusagen in die Wiege gelegt wurde. Die Gaben der Götter kann man unmöglich unterdrücken oder verleugnen; ob bewusst oder unbewusst, sie werden immer zutage treten. Damit entfällt Möglichkeit II, und auch Traviageweihte und andere verlangen sicher eine Gegenleistung. Der Unterschied zum normalen Menschen liegt darin, dass sie sie nicht direkt von ihren Mitmenschen verlangen. Wie jemand, der ein Kind rettet, die Gegenleistung nicht von diesem verlang, sondern von dessen dankbaren Eltern, verlangen die Geweihten die Gegenleistung von ihrem Gott, stellvertretend für dessen unmündige Gläubige.
Was können die Götter ihnen aber bieten? Die Aufnahme in eines der Paradiese. Unbewusst übertragen diese Menschen also die Gegenleistung für ihre Aufopferung ins Nachleben. Sie arbeiten und schuften für andere und erwarten dafür, dass ihr Gott sie in sein Paradies erhebt. Im Prinzip also wieder Leistung und Gegenleistung.


Hoffnung
Ein Phexgeweihter hat sich immer allen Unwägbarkeiten zu stellen und mit ihnen zu planen. Er hat die Pflicht, sich auf alle Konflikte, die ihm drohen könnten, vorzubereiten. Muss ein Phexgeweihter erst hoffen, dass sein Plan aufgeht und ein Problem nicht auftritt, ist es schon zu spät, und er hat versagt.


Schubladen – nichts ist unmöglich
Jeder Mensch kategorisiert die Welt in Schubladen. Ein Diener Phexens ist aber dazu angehalten, die Zahl und Art seiner Schubladen variabel zu halten. Er darf sich nicht dazu verleiten lassen, die Welt nur durch seine Vorstellung zu sehen und der schon bestehenden Kategorisierung unterzuordnen.
Löst man sich von seinen Erwartungen und ist bereit, sein Weltbild stets zu verändern, erhält man einen Blick auf die Welt, wie sie wirklich ist, einen Blick hinter den Schleier, und lernt, dass nichts unmöglich ist. Immer, wenn du glaubst, dass etwas unmöglich ist, gibt es jemanden anderswo auf Dere, in einer Globule, einer anderen Sphäre oder an Orten, die du dir nicht vorstellen kannst, der genau das in diesem Augenblick vollbringt.


Informationsnetze
Die einzelnen Tempel sind nicht bereit, ohne weiteres ihre gesammelten Informationen preiszugeben, denn diese stellen ihren Reichtum dar. Täten sie das aber, entstünde ein Informationsnetzwerk, mit dem kein bisher bestehendes auch nur annähernd mithalten könnte.



Leistung und Gegenleistung – eigene Überlegungen

Frage: Agieren Menschen wie Travia- oder Perainepriester völlig uneigennützig, oder verlangen sie doch insgeheim eine Gegenleistung, vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein?

These: Auch solche Menschen handeln immer nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung, ob bewusst oder unbewusst.

Diese These basiert auf zwei Annahmen:
I Das Verlangen jedes Menschen nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung ist eine Gabe Phexens. Jeder bekommt sie zumindest in spürbarem Maße in die Wiege gelegt.
II Göttliche Gaben aber kann man weder unterdrücken noch ganz beseitigen, sie werden immer zutage treten, ob nun bewusst oder unbewusst.

Annahme I ist sehr schwierig zu beweisen oder zu widerlegen, prinzipiell spricht aber nichts dagegen, sie als wahr anzunehmen.

Um Annahme II bewerten zu können, kommt man nicht umhin, sich allgemeinere Gedanken zu dem Thema zu machen, was denn eigentlich alles zu den göttlichen Gaben zählt, und ob es Beispiele für Gaben gibt, die unterdrückt werden können.

Darüber, was alles zu den göttlichen Gaben gezählt werden kann, dürften die Menschen (vor allem solche verschiedener Kulturkreise oder Anhänger verschiedener Gottheiten) sehr uneins sein. Dennoch soll hier versucht werden, einige wenige aufzuzählen. Wichtig ist hierbei, dass es sich um Eigenschaften handelt, die der Mensch von Geburt an besitzt, die er also nicht erlernen kann.

  • Magie, Hesindes Gabe (oder Phexens, je nach Kulturkreis)
  • Humor (Gabe Phexens)
  • die Gabe, anderen Menschen zu vertrauen und ihnen (geistige) Treue zu erweisen (Travia)
  • Milde und Güte (Travia)
  • Heldenmut und Tapferkeit (Rondra)
  • Vergessen (Boron)
  • der Verstand (Hesinde)

Bei all diesen Gaben fällt auf, dass sie in der menschlichen Gesellschaft ungleichmäßig verteilt sind. Haben die Menschen, die eine Gabe nicht oder kaum aufweisen, diese von vornherein in geringerem Maße erhalten, oder gelingt es ihnen - vielleicht mit Hilfe eines andere Gottes - diese Gabe zu unterdrücken?

Bei der Magie ist es offensichtlich: Nicht jeder Mensch verfügt von vornherein über diese Gabe. Diejenigen aber, die sie besitzen, können sie entweder mit Hilfe des Eisens unterdrücken oder aber mit Praios' Hilfe ganz von sich nehmen lassen.
Es gibt humorlose und sehr humorvolle Menschen. Humorvolle Menschen werden das auch immer bleiben, dennoch denke ich, gibt es viele Menschen, die diese Gabe ihrer Profession wegen in gewissem Maße unterdrücken. (Sonst gäbe es erschreckend wenige humorvolle Menschen, wenn man sich so die vielen Praios- und Rondrageweihten, Gardisten, Soldaten und andere Menschen anschaut - und das beängstigte mich doch sehr).
Auf diese Weise lässt sich auch mit den anderen genannten Gaben verfahren:
Es ist den Menschen möglich, ihr Vertrauen in andere zu unterdrücken und Misstrauen zu entwickeln; es ist ihnen möglich, hartherzig und feige zu handeln, und ihren Verstand verkümmern zu lassen. Es ist ihnen möglich, sich bestimmte Dinge immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.
Es muss also möglich sein, Gaben der Götter unterdrücken zu können. Nun haben einige Gaben einen ungleich größeren Einfluss auf unser Leben als andere. Daher liegt die Vermutung nahe, dass solche, die sich stark auf unser Leben auswirken, die praktisch immer unser Handeln bestimmen, nur schwer zu unterdrücken sind, im Gegensatz zu anderen weniger alltäglichen. Zu ersteren zähle ich das Prinzip von Leistung und Gegenleistung, zu letzteren die Magie.

Auf die Ausgangsfrage bezogen, bedeutet das:

I Der Großteil der augenscheinlich eigennützigen Menschen handelt doch - wie oben ausgeführt - nach diesem Prinzip und verlangt eine Art von Gegenleistung.
II Dennoch vermag es Menschen zu geben, die - wenn auch nur mit göttlicher Hilfe - das Verlangen, nach diesem Prinzip zu leben zu unterdrücken vermögen. Solches sind dann ausgewählte Streiter dieser Götter mit dem Zweck zu missionieren und andere dazu zu bringen ebenso zu handeln.


Frage: Gibt es einen freien Willen oder sind die Menschen nur Spielzeuge der Götter? Sind alle Menschen von Grund auf gleich geschaffen?

Die Phexkirche (die es, wie wir wissen, nicht gibt) ist überzeugt, dass der Mensch einen freien Willen hat. Er hat immer eine Wahl zwischen möglichen Alternativen, die über sein Leben entscheiden. Es gibt kein vorherbestimmtes Schicksal, auf das der Mensch keinerlei Einfluss hätte. Die persönliche Freiheit eines Menschen ist sein höchstes Gut und durch nichts aufzuwiegen.

Wie kommt es dann, dass ausgerechnet in den Tulamidenlanden, in denen die Phexkirche viel Macht und Einfluss hat, Sklaverei allgegenwärtig ist?

Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst folgende verwandte Fragen klären:
I Wer handelt dort mit wem?
II Wie ist diese Gesellschaft aufgebaut?
III Ist Freiheit ein Gut, welches jedem zusteht, oder muss sich jeder seine persönliche Freiheit erst erkämpfen? Oder gibt es gar bestimmte Gruppen, denen Freiheit zusteht, während andere sie sich erst erkämpfen müssen?

zu III: Jede der drei Auffassungen findet ihre Anhänger in der Kirche.

zu I: Zunächst soll der Sachverhalt für die Tulamidenlande erläutert werden, um anschließend zu versuchen, die Erkenntnise zu verallgemeinern und am Beispiel Al'Anfas zu prüfen.

Wer handelt also mit Sklaven?

Verkäufer – Zwischenhändler – Käufer

Die "Verkäufer" sind sozusagen die Erzeuger der Ware "Sklave". Dies kann auf drei Arten geschehen:

- gewaltsam (bedingt, dass der Verkäufer nicht direkt Teil der Gesellschaft ist oder wenn dann den niederen Schichten angehört)
- mit Sklaven als sich selbst vermehrender Ware; sehr langwierig
- durch freiwillige Begebung in die Sklaverei nach Verschuldung


(Einschub zum Handel:
Es gibt auf der einen Seite große Handelshäuser, die den Handeln in den Städten dominieren. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor Tauschhandel auf dem Land. Beide Formen dürften ein ähnliches Volumen aufweisen, aber die großen Handelshäuser verfügen im Gegensatz zu den vielen Dorfbewohnern Macht und Einfluss.)


"Zwischenhändler" sind die üblichen Sklavenhändler.

"Käufer" sind sehr wohlhabende Menschen, die Bedarf an anderen Menschen haben, die niedere Arbeiten für sie verrichten.


zu II: Die tulamidische Gesellschaft:
Es gibt keinen Adel im Sinne des Mittelreiches, stattdessen basiert die Gesellschaft auf Macht, Einfluss und damit verbunden auf Reichtum und Besitz jeglicher Art.
Typisch für die Tulamidenlande sind die Händler, die ihr Leben damit zubringen, alle Arten von Waren anzukaufen und wieder zu verkaufen. Nach solcher jahrelanger Beschäftigung ist es nicht verwunderlich, wenn solche Händler allem in ihrer Umgebung einen Preis zumessen - auch den Menschen.


Sklaven findet man in allen Beschäftigungsfeldern: als Feldsklaven, Minensklaven, aber auch als Haussklaven oder Lustsklaven. Ihre Lebensumstände können sehr unterschiedlich ausfallen: Erste können wie Vieh gehalten werden, während letztere ein vergleichsweise gutes Leben führen können. Die Lustsklavin eines reichen Händlers vermag in dessen Haushalt die Stellung seiner Ehepartnerin einnehmen.

Dennoch wird selbst jeden Sklavin immer weniger Ansehen in der Gesellschaft genießen als der niederste Bettler. Denn das Sklavendasein ist ein Makel, den man nie wieder loswird, selbst wenn man einmal frei sein sollte.

Die Trennung zwischen Menschen ohne Makel und solche mit ist extrem strikt ("rote Linie"). Dazu trägt bei, dass der Makel körperlich gemacht wird: Bei Waldmenschen ist es ihre dunklere Haut, bei anderen Sklaven sind es Brandzeichen.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass folgende Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit eine Gesellschaft eine Form der Sklaverei hervorbringen kann:

I - ein gesellschaftlich akzeptierter Mechanismus, durch den Freie kontrolliert Sklaven werden können
- es gibt eine Quelle von Sklaven außerhalb der Gesellschaft (zurückgebliebene Völker)
II durch eine ungleichmäßige Verteilung von Besitz (einige wenige besitzen ungleich viel mehr als der Rest) gibt es Bedarf an Sklaven
III - es gibt die Bereitschaft, Menschen als Ware zu betrachten
- eine strikte Trennung zwischen der Gruppe der Sklaven und dem Rest der Gesellschaft schafft Sicherheit, dass nicht große Teile der Gesellschaft plötzlich zu Sklaven werden


Versuch der Übertragung auf Al'Anfa:

I Es gibt eine Quelle außerhalb. Über einen internen Weg, Sklave zu werden, wissen wir nichts, die Möglichkeit, dass es einen solchen gibt, besteht aber.
II Eine ungleichmäßige Verteilung von Besitz ist vorhanden.
III Es gibt eine rote Linie, denn die Gesellschaft ist folgendermaßen aufgebaut:

Granden – Fanas – Sklaven

Die Fanas sind die Freien Al'Anfas. Zwischen den drei Gruppen besteht jeweils eine kaum überbrückbare Kluft.

Es sind also alle drei Voraussetzungen gegeben.


Nun lässt sich die Ausgangsfrage beantworten:

Entscheidend für das Vorhandensein von Sklaverei in der tulamidischen Gesellschaft: Die Händler
- bringen die Bereitschaft, Menschen als Ware anzusehen.
- schaffen durch die Anhäufung von Besitz eine ungleichmäßige Verteilung von Reichtum.
- stellen einen akzeptieren Mechanismus zur Verfügung, indem sie Menschen deren Schulden erlassen, wenn diese sich freiwillig in die Sklaverei begeben.

Die Händler sind zwar phexgläubig, werden sich aber aus den vielen Lehren der Phexkirche die für sie bequemste herausgreifen, nämlich die, dass man sich seine persönliche Freiheit erst erkämpfen muss.

Eine mögliche Argumentation könnte dabei lauten:
Sklaven, die gewaltsam zu solchen gemacht wurden, hätten eben besser für ihre Freiheit kämpfen sollen. Solche, die sich unter der Last ihrer Schulden in die Sklaverei begeben haben, hätten eben auf finanzieller Ebene besser kämpfen müssen.
In die Sklaverei geborene Menschen sind auf eine der beiden anderen Arten Sklave zu werden zurückzuführen: Hier haben eben die Vorfahren nicht genügend gekämpft und versagt.



Gaben/Eigenschaften der Götter:

Phex: die Gabe eines intuitiven Gespürs für einen guten Tausch

Rahja: Gefühle aller Art, egal ob positiv oder negativ, empfinden zu können

Praios: meine Meinung: Praios gab uns die Fähigkeit, uns unterzuordnen, unsere Freiheit beschränken zu lassen, um ein funktionierendes Gemeinwesen aufbauen zu können
Eslams Meinung: Praios gab uns die Fähigkeit, Gerechtigkeit erkennen zu können; eng verwandt mit Phexens Gabe; der Unterschied liegt darin, dass hier eine Seite nicht mehr verhandelbar ist, weil hier schon etwas passiert ist, nun wird ein Ausgleich vereinbart; dieses Geben ist kein freiwilliger Prozess 1)

Rondra: Heldenmut; die Fähigkeit, im rechten Augenblick über sich selbst hinauszuwachsen, trägt jeder in sich, aber viele glauben es nicht 2)

Efferd: Schicksalsergebenheit; Stellen der Frage nach dem Sinn des Lebens; Schwermütigkeit; die Gabe zu akzeptieren, dass es Dinge im Leben gibt, die man nicht zu ändern vermag, und trotzdem nicht zu verzweifeln, sondern weiterzumachen (Hängt alles miteinander zusammen und stellt nur verschiedene Aspekte derselben Sache dar.)

Travia: Mutterliebe; diese unbedingte Liebe dem eigenen Nachwuchs gegenüber, auf dem Familie beruht, die wiederum unsere Gesellschaft aufbaut

Boron: das Vergessen

Hesinde: ich: Verstand,
Eslam: Wissensdurst
Synthese: Beides geht Hand in Hand und bedingt sich gegenseitig; ohne den Wissensdurst versiegt der Verstand, aber wo es keinen Verstand gibt, findet sich auch kein Wissensdurst

Firun: Leidensfähigkeit in körperlicher Hinsicht

Tsa: die Fähigkeit, einen Neuanfang zu wagen und sich auf Unbekanntes einzulassen

Peraine: Geduld

Ingerimm: Kreativität

Kor: Aggressivität, Selbstbehauptung 3)

Marbo (wurde von Eslam genannt): Hier fanden wir nichts. Marbo steht für den Tod als Erlösung, aber der Tod ist keine Gabe, sondern ein unausweichliches Schicksal, resultierend daraus, dass die Menschen nur noch wenig von Sumus Atem erhielten.

Ifirn (Erwähnung von mir): Milde, Güte

Frage: Was ist mit der Gabe "Vertrauen"?
Es muss sich um eine Gabe handeln, weil es eigentlich ein dummes, schädliches Verhalten ist, aber ohne die Gabe selbst wildfremden Menschen zu vertrauen, keine Gesellschaft möglich wäre. Vertrauen gehört mit Misstrauen zusammen - wie sähe eine Welt ohne Misstrauen aus? Wessen Gabe sind Vertrauen und Misstrauen?
Vertrauen allein: Travia, Rahja oder ähnliche
aber mit Misstrauen: Phex, denn beim Handeln wird ja auch ein gewisses Vertrauen verlangt, dass der andere seinen Teil des Handels hält. 4)


1) Hier kam es zu einer Diskussion über die Unterschiede und die jeweilige Effektivität des mittelreichischen und des tulamidischen Rechtssystems. Eslam beharrte darauf, dass das System von selbstständig arbeitenden Jägern der Nacht dem von Gardisten und Richtern überlegen sei. Ich hielt dagegen, dass beides im Prinzip vergleich bar ist.

Seine Argumente:

  • Jäger der Nacht sind effektiver, weil sie ihre Taten nur vor sich selbst und Phex rechtfertigen müssen. Gardisten dagegen sind an das geschriebene Gesetz gebunden und dürfen nur auf legalem Weg erworbene Beweismittel vorbringen.
  • Jäger der Nacht arbeiten im Geheimen und niemand weiß, wieviel es von ihnen gibt. Außerdem haben sie ein dichtes Netz von Zuträgern in der Bevölkerung. Das macht sie zum einen unvorhersehbar, zum anderen werden ihnen die Taten Krimineller schnell zugetragen. Außerdem führt das dazu, dass Kriminelle von vornherein abgeschreckt werden, müssen sie doch immer damit rechnen, einen Jäger oder dessen Zuträger vor sich zu haben.
  • Jäger der Nacht haben eine besonders gute Ausbildung hinter sich und sind geweiht. Dadurch fallen ihre Urteile stets gerecht aus, sie sind nicht korrumpierbar, und sie erkennen eventuelle Verräter unter ihren Zuträgern.

Argumente dagegen:

  • Die augenscheinliche Freiheit der Jäger besteht nur in der Theorie. In der Praxis haben auch sie sich bei ihrer Informationssuche an die Regeln der Gesellschaft zu halten, seien diese nun schriftlich fixiert oder ungeschrieben, sonst wird die Gesellschaft sehr schnell gegen den Jäger aufbegehren. Zudem ist die Freiheit der Gardisten nicht so begrenzt, wie es zunächst den Anschein hat: Die Zahl der gültigen Gesetzestexte ist so groß, dass kein Mensch all das überschauen kann. Ein findiger Gardist kann sich dadurch einen sehr großen Handlungsspielraum erschaffen. Außerdem kann der Gardist Genehmigungen für die Informationsbeschaffung abseits der legalen Wege erhalten.
  • Der stärkste Punkte der Jäger der Nacht, aber gleichzeitig auch der schwächste. Die Gardisten verfügen über die Ressourcen, vielen Spuren auf einmal zu folgen, viele Fälle auf einmal zu untersuchen, wo der Jäger der Nacht Probleme hat. Es gibt nicht so viele Geweihte, die so leben (in Mherwed ist es zum Beispiel nur eine). Selbst wenn ihnen alle Informationen schnell zugetragen werden, müssen sie sie doch selbst auswerten (sonst fällt Punkt 3 weg, die Verlässlichkeit der Jäger als Geweihte, da sie Urteile fällen, ohne den Fall genau zu kennen).

Zudem können auch Gardisten sehr wohl verdeckt ermitteln und Hinweisen aus der Bevölkerung folgen. Dafür müssen die Menschen noch nicht einmal direkt auf die Garde zugehen; es gibt so viele Gardisten, die wiederum so viele Verwandte oder Bekannte haben, dass früher oder später alle Informationen bei der Garde landen.

  • Selbst Weihe und Ausbildung schützen nicht vor I) Zuwendungen zu den Feinden der Götter II) Irrtümern. Zwar überwachen andere Jäger der Nacht ihresgleichen, doch gibt es nur wenige, die viel zu tun haben, so dass es dauern kann, bis ein gefallener Jäger auffällt. Auch Phexgeweihten kann es passieren, dass sie Situationen falsch einschätzen und Fehler machen. Da sie ihre Fälle allein bearbeiten, bemerkt niemand diese Fehler, und eventuell kommen Unschuldige zu Tode.

Ein gutes Beispiel hierfür ist wohl der Fall Atres' und Heridians. Jamilha kannte nicht die ganze Situation, tötete beide beinahe und schickte damit um ein Haar deren Seelen ungerechtfertigt in die ewige Verdammnis.
Zudem können auch Phexgeweihte andere Menschen völlig falsch einschätzen: So schätzt Jamilha Eslam völlig falsch ein und erkennt nicht, dass beide zur selben Gruppe von Geweihten gehören und Eslam ihr eventuell deutlich überlegen ist (auf einigen Gebieten bin ich mir in der Hinsicht sehr sicher).
Auf der anderen Seite darf man auch nicht übersehen, dass auch Gardisten eine gute Ausbildung erhalten, zumindest solche, die in höhere Posten aufsteigen. Außerdem wurden diese Menschen auf die Götter und ihre Gesetze eingeschworen. Man kann also wohl nicht behaupten, dass der Großteil der Gardisten korrupt wäre und götterlos handeln würde.


2) Eslam versuchte mir an dieser Stelle durch einen rhetorischen Kniff weiszumachen, dass die Tulamiden Phex und Rahja deshalb so verehrten, weil sie "nützliche" Gaben gegeben hätten, die der Mensch in seinem Alltag braucht. Die "Güldenländer" (wie er die Mittelreicher zu nennen pflegt - mich eingeschlossen) beteten dagegen vornehmlich Praios und Rondra an, die ihnen selten etwas zu bieten hätten. Mit dieser Schlussfolgerung bin ich nicht einverstanden.
Es ist wahr, dass die Gaben Rahjas und Phexens auf den ersten Blick stärker präsent sein mögen. Sie regeln den persönlichen Umgang miteinander, das menschliche Gefüge auf unterster Ebene. Jeder erlebt zu jeder Zeit eine Vielzahl an Gefühlen, die andere in ihm auslösen. Das jeder Schritt im Leben auf dem Prinzip von Geben und Nehmen basiert, hatten wir ebenfalls festgestellt. Das bedeutet nun aber nicht, dass Rondras und Praios' Gaben weniger präsent wären. Ironischerweise sind sie nur nicht so leicht auszumachen, weil die meisten Menschen die Auswirkungen dieser Gaben für selbstverständlich halten.
Zunächst zu Praios: Seine Ordnung, Urischar, und sein Gesetz, Schelachar, bilden den Rahmen unserer Gesellschaft, bilden die Form, innerhalb derer sie sich bilden kann, stützen sie und halten sie aufrecht. Ohne Praios' Gaben gäbe es nur Chaos und Anarchie, und es könnte sich keine Zivilisation ausbilden. Ohne Gerechtigkeit verbreitete sich das Verbrechen und stürzte Menschen ins Unglück. Wir mögen es täglich nicht bewusst wahrnehmen, aber die geordnete Welt wie wir sie kennen, wäre ohne Praios' Gaben nicht möglich.
Zu Rondra: Auch hier nehmen wir nicht wahr, dass unsere Welt eine solche ruhige, sichere ist, weil ihre wenigen Geweihten sie mit ihrem Heldenmut schützen. Was uns selbstverständlich scheint - wenige Dämonenanbeter in den zivilisierten Landen, Geschmeiß wie die Orks zurückgedrängt in unwirtliche Gebiete, "ehrliche" Kriege - ist in Wahrheit auf die Gaben Rondras zurückzuführen. Nicht nur im Heldenmut des Geweihten, der das Dämonengezücht erschlägt, sondern auch im Bauern, der seine Familie mit der Mistgabel vor allen Bedrohungen schützt.
Ich bin roh, dass ich in einer sicheren Gegend aufgewachsen bin, sicher dank Rondras Gaben, so dass ich nicht gezwungen war, öfter den Heldenmut in mir zu wecken, um mein Leben oder das meiner Familie oder unseren Besitz zu schützen - oder, schlimmer noch, unsere Seelen. Ich habe Rondras Gabe noch nie anwenden müssen, aber deshalb würde ich sie niemals als geringer ansehen, als die Gabe lachen und weinen zu können.
Der Zwölfkreis der Götter ist nur gemeinsam stark. Jeder der Götter hat den Menschen auf seine Weise gegeben, damit die Menschheit Zivilisationen aufbauen und erblühen kann. Es ist kurzsichtig, nur den Göttern für ihre Gaben zu danken, bei denen diese stets offensichtlich sind, und zu vergessen, dass wir auch die Auswirkungen der anderen Gaben genießen.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ehe ich zu diesem Schluss kam. So schien mir zunächst der Nutzen von Peraines Gabe, der Geduld, zweifelhaft. Doch gäbe es nicht Menschen, die damit gesegnet wären, im Frühjahr Samen aussähten, die Pflanzen hingebungsvoll einen halben Götterlauf hegten, um dann im Herbst ernten zu können, so wären wir alle wohl schon längst verhungert.
Und so lässt sich mit allen göttlichen Gaben fortfahren. Es ist legitim, einigen Gaben "mehr zu mögen" und die entsprechenden Gottheiten besonders zu verehren, aber es ist gefährlich, Gaben, die einem selbst weniger zusagen, als unnütz abzutun.


3) Hier wartete Eslam mit der Überzeugung auf, dass Kor nicht Rondras Sohn sei, sondern eine eigenständige Gottheit. Ich konterte mit den göttlichen Offenbarungen, z.B. Silem-Horas', aber er beharrte darauf, dass sich menschliche Familienformen nicht auf das Göttliche übertragen ließen. Seine Argumentation hört sich schlüssig an, aber andererseits bedeutet das gleichzeitig, dass viele Offenbarungen als falsch angesehen werden müssten. Und das zu akzeptieren fällt mir dann doch schwer.


4)Eslams Schlussfolgerung: Wir haben jetzt schon so viele Dinge aufgezählt, die grundlegend unser Leben bestimmen und die wir Phex verdanken - damit ist sicher, dass Phex auch unser Schöpfer sein muss.
Das ist Eslams tiefste Überzeugung, aber ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Haben die anderen Götter dem Menschen nicht genauso von ihren Gaben gegeben? Und bezieht sich das dann nur auf die Tulamiden? Was ist mit den "Güldenländern"? Funktioniert ihre Gesellschaft nicht im Grunde gleich? Was ist mit den "wilden Völkern"? Was mit Thorwalern, Nivesen, Waldmenschen? Wie ich aus Erfahrung weiß, fügen auch sie sich nahtlos in unsere Gesellschaft ein, wenn sie dort aufgewachsen sind - ihre Anlagen sind also die gleichen. Sind also alle Menschenvölker von Phex geschaffen worden? Wenn nicht, von wem dann? Ich werde Eslam fragne müssen, doch fürchte ich, dass sich dann die schon lange angekündigte Lektion über "Macht & Einfluss" noch um einiges verschieben wird!


zu 3) Mittlerweile - nach einigem Nachdenken - bin ich der Überzeugung, dass wie so oft auch in diesem Fall die Wahrheit in der Mitte gesucht werden muss.
Kor ist nicht Rondras Sohn, dennoch behält Silem-Horas recht, der immerhin göttliche Eingebungen hatte. Was Silem-Horas gesehen hat, ist eine an den menschlichen Geist angepasste Vorstellung der Götterwelt. Die wahren Begebenheiten zu verstehen, wären wir niemals in der Lage, deshalb offenbarten uns die Götter ihre Beziehungen auf eine Weise, die wir in unsere Welt übertragen können.

Xeledon, den ich schon einige Male persönlich treffen konnte, ist nicht der Sohn von Hesinde und einem Sterblichen. Warum sollte eine Göttin wie eine gemeine Menschenfrau Kinder bekommen? Schon die Unterschiede in der Fortpflanzung zu anderen aventurischen Wesen sind so groß - wie unendlich größer müssen sie sein, vergleicht man den Menschen mit solch omnipotenten Wesen wie den Göttern?



Lange habe ich darüber gegrübelt, was wohl mit Atres' Auge geschehen sein könnte. Ich glaubte, beim Ritual sei er verzaubert worden, oder vielleicht hatte auch unsere Unterbrechung des Rituals solche Folgen. Seine Kollegen würden sich das Artefakt schon ansehen, etwas dagegen tun, und alles wäre wieder gut. Alle Anzeichen, dass es sich um etwas Anderes handeln könnte, ignorierte ich. Immerhin spielt der Rubin in den Legenden und in der Geschichte eine große Rolle. Ein faustgroßer Rubin, der Stern von Selem, soll einst sowohl den Sultan von Elem als auch Hela-Horas in den Untergang getrieben haben. Und Atres' Rubin ist ein großer Edelstein, selbst wenn es sich nicht um ein magisches Artefakt handelte, wäre er sicherlich 800 Golddukaten wert.
Außerdem gibt es die Legende, der Halbgott Nandus und der Magier Basilius sollen beide ihr linkes Auge geopfert haben, um große Weisheit zu erlangen. Weiser geworden ist Atres wohl, immerhin kann Atres jetzt offensichtlich magische Linien oder Fäden sehen, die über dem Land liegen und sich zum Teil auch kreuzen. Das Artefakt hilft ihm, diese Linien zu sehen. Das wiederum ist hilfreich für uns, weil an solchen Knoten oft Ritualplätze liegen, da sich dort die magische Kraft besser regenerieren lässt.
Das Auge beeinflusst ihn. Er sagt, manchmal habe er keinen eigenen Willen mehr. Er tue irgendetwas, bis er sozusagen wieder erwacht und wieder selbst handeln kann. Sehr selten geschieht das, und das ARtefakt hat ihn auf diese Weise dazu gebracht, das Geheimnis der Kraftfäden zu erkunden.

Was aber, wenn das Auge das Erste Zeichen sein sollte, und Atres somit der Erste Gezeichnete? Leider habe ich immer noch keine Textstelle dazu. Ich ging davon aus, dass die Gezeichneten diejenigen sein sollten, die mit großer Macht gesegnet sein sollten - und die Welt verwüsten sollten. Darüber war ich mir schon lange nicht mehr sicher.
Mittlerweile ist klar, dass die Bedrohung von Borbarad und seinen Anhängern ausgeht - was auch immer sie genau vorhaben. Die Gezeichneten haben die Macht seine Pläne zu vereiteln, dafür sind die Zeichen gemacht. Sie könnten ihre Macht aber auch für seine Zwecke einsetzen. Ich glaube, es liegt an den Menschen, die die Zeichen tragen, was aus der Macht der Zeichen erwächst. Sie müssen stark sein und standhaft für das Gute kämpfen.

Auf Basis dieser Gedanken ist es die Frage, ob es wirklich schlecht ist, wenn die Artefakte Kontrolle auf ihre Träger ausüben - wenn sie das doch tun, um Borbarad zu schaden? Aber das erscheint mir als zu einfach. Sind die Artefakte vielleicht doch nicht dafür geschaffen, sondern halten nur die nötige Macht bereit? Dann läge es doch an den Gezeichneten, diese Macht für das Gute einzusetzen. Ich es nicht, aber ich werde es herausfinden.

Denn ich trage nun selbst eines der Zeichen: Und dann wird erscheinen der Zweite der Sieben Gezeichneten, und sein Zeichen wird sein die Kreatur und das Wissen um seine Gestalt.

Ich weiß nicht, wie ich diesen Spruch zu deuten habe. Luzelin sprach von dem Losfunken, der jeder Kreatur innewohnt - aber nicht mehr den Vampiren. Damit ist dies identisch mit Rohals "Sikaryan". Das "Sikaryan" muss also der Seele entsprechen.
Diese Vorstellung beunruhigt mich zutiefst, denn das würde bedeuten, dass mir ein Teil meiner Seele fehlt!

Nun, jedenfalls ringelt sich eine Schlange auf meiner Brust. Es ist eine detailreiche Tätowierung, gefertigt mit einer Nadel aus dem Horn eines schwarzen Einhorns und magischer Farbe, von vereinten Kräften der Hexen Weidens, Tobriens, Albernias...
Ich habe bemerkt, dass sich die Schlange hin und wieder bewegt. Sonst spüre ich nichts.



Der Kampf gegen Vampire

Vampire töten ihre Opfer, indem sie ihnen Sikaryan, den Lebensfunken entziehen. Ein Viertel aller auf diese Weise getöteten Wesen erheben sich wiederum als Vampire.
Der Entzug geschieht normalerweise durch das Saugen mit den spitzen Eckzähnen; es gibt aber auch andere Möglichkeiten: Bei Nachtmahren durch den intensiven Blick, aber es ist auch eine Übertragung durch Geschlechtsverkehr möglich. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten.
Vampire entwickeln ein paar von 12 Schwächen oder Verwundbarkeiten, die je einem der Zwölfgötter zugeordnet sind. Welche dies sind, darüber entscheidet die Glaubenswelt vor dem Tod, aber auch der Geburtsmond. Deshalb zerfallen so viele Vampire im Licht der Praiosscheibe zu Staub oder können mit einem Holzpflock, der ihnen ins Herz getrieben wird (Peraine), getötet werden.



Ich liebe meinen Gott.
Es ist keine Liebe, wie man sie Menschen gegenüber empfinden kann, sondern eine grenzenlose, allumfassende Liebe, Bewunderung, Verehrung. Immerzu muss ich an den glücksseligen Augenblick denken, als meine Seele bei ihm in Alveran war. Diese Wärme, diese Güte, dieser Schutz. Wie er mit seinen Gläubigen das erste Bollwerk gegen die Dämonen bildet, niemals nachlassend, immer abwehrbereit, schon seit Äonen.
Der Sternenwall. Unermesslich weit und groß, unvorstellbar.
Wie fehlt mir dieses Gefühl. Ich spüre jedesmal einen Hauch davon, wenn ich meditiere oder gar den Teil in mir wecke, der seine Kraft trägt. Es ist nicht dasselbe, aber es fühlt sich dennoch großartig an. Ich könnte mir nichts Schöneres, nichts Anderes mehr vorstellen, als hier in Aventurien Wegbereiter seines Willens zu sein. Das ist mein innigster Wunsch, dem alles andere nachsteht. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte viel mehr Zeit, meiner Verbundenheit mit ihm nachzuspüren und ihm nahe zu sein. Ich wünschte, ich könnte einfach immer weiter meditieren. Eine Karmalqueste wäre wohl ein guter Ausgangspunkt dafür, denn ich glaube, dass meine Seele auch dann ganz in seiner Nähe oder bei ihm weilt, wenn ich ihn darum bitte, mir noch mehr seiner Essenz zu überlassen.
Dann ist es fast wie damals. Ich bin nicht im Nebel, ich bin der Nebel. Ich schleiche nicht, es ist meine natürliche Art, mich lautlos zu bewegen. Erkenntnis um Erkenntnis überkommt mich. Ich wünschte, ich könnte solche Augenblicke festhalten und sie ausdehnen. Einfach weiter in seiner Nähe treiben, dort, wo alles perfekt ist.
Aber auch wenn ich weiß, dass es nicht sein kann und darf - ich fühle mich nun sicher. Den Tod fürchte ich nicht, weiß ich doch, dass ich dereinst wie so viele vor mir den Sternenwall stärken werde.



Wenn der Bote des Wandelnden Bildes zum Bündnis bittet.
So lautet es in der Prophezeiung. Nun bin ich mir recht sicher, dass sich diese Aussage auf mich und das Zweite Zeichen bezieht. Doch worum geht es? Was ist das Bündnis? Was das Wandelnde Bild? Die Tiere, die ich sehe? Was bedeuten die Tiere? Luzelin sprach vom "Losfunken", dem Kern der Seele, den ich erblicken könnte. Da der "Losfunken" den Vampiren fehlen soll, liegt nahe, dass er mit dem "Sikaryan", von dem Rohal sprach, identisch ist. Aber wie kann das Tier die Seele sein? Umschreibt es vielleicht die Charakterzüge der Person? Auf irgendeine Weise muss die Seele ja sichtbar gemacht werden. Dann wird das wohl so sein.



Das Zeichen spricht bisher nicht und macht sich auch sonst nicht verständlich. Es versteht mich aber insoweit, als dass es mir die Tiere zeigt, wenn ich es darum bitte. Außerdem bewegt es sich und ist auch in der Lage, meinen Körper zu verlassen.

Ich mache mir Sorgen, wann und wo uns wohl das dritte Zeichen erwarten wird - und wer sein Träger sein soll.
Im Prinzip müsste es wohl Heridian sein, der mir und Atres nachfolgt. Wohl dabei ist mir nicht, kann ich mir doch schon vorstellen, wie er damit prahlt. Und ob er standhaft genug sein kann, die damit verbundene Macht im Namen der Götter einzusetzen? Oder ob er auch hier dem Prinzip "Der Zweck heiligt die Mittel" vorginge? Im Glauben, Gutes zu tun?
Oder trifft es einen anderen, und auf Heridian wartet Siebenstreich oder eines der anderen Zeichen? Immerhin müssen auch Zeichen an andere Personen vergeben werden. Ogara wird es wohl nicht sein. Uthred vielleicht?

Wenn das Tier mit dem kühnen Krötensinn seinen Kürschmeister kürt.
Dann wird erscheinen der Dritte der Sieben Gezeichneten und sein Zeichen wird sein die Zweite Haut und das Wissen um seine Macht.

Für mich liest sich das, als würde sich die Haut des Gezeichneten in eine Krötenhaut verwandeln. Was bin ich froh, dass ich meine Schlange habe.
Aber was werden seine Fähigkeiten sein? Und was nützt uns meine Fähigkeit?



Es erweist sich als noch schwieriger, als ich erwartet hatte. Dass es nicht leicht werden würde, wusste ich. Dennoch bin ich enttäuscht.
Wir haben bei einigen wichtigen Persönlichkeiten vorgesprochen, aber von Eslam abgesehen scheint niemand imstande, den Erst der Lage zu begreifen. Die Praios-Kirche ist entzweit, die Kirche der Allweisen verliert sich in Diskussionen. Lediglich das Schwert der Schwerter scheint uns wohl ein wenig Glauben zu schenken, aber auch sie sieht sich ohne ein Zeichen ihrer Herrin nicht genötigt einzugreifen.
Andererseits verstehe ich sie durchaus. Was sollte sie auch tun? Sie versprach, die Wachsamkeit in Bezug auf magische Phänomene zu erhöhen, was im Augenblick ihre einzige Möglichkeit ist, uns zu helfen. Dennoch: Was Siebenstreich angeht, verschweigt sie uns etwas, obwohl wir so offen zu ihre waren. Es hätte mich aber auch gewundert, wenn die Erhabene nichts über das Schicksal des Schwerts gewusst hätte.
Mir bleibt nur zu beten, dass RONdra ihrer Dienerin rechtzeitig ein Zeichen gibt - und dass es keinen Krieg geben wird zwischen ihrer Kirche und der des Götterfürsten, denn wir wurden leider Zeugen davon, dass es auch Rondra-Geweihte gibt, die den Augenblick der Schwäche der Praioten ausnutzen und Rache üben wollen. Ayla von Schattengrund ist noch jung und unerfahren - ich hoffe, sie wird in der Lage sein, ihre Geweihten im Zaum zu halten.
Selbst Ogara scheint an dieser Idee nichts Falsches erkennen zu können - und dabei war sie Zeuge der Ereignisse in Dragenfeld und Moosgrund. Sie selbst hat ihn gesehen, seine Pläne gehört. Wie mag es da erst um jene stehen, die von der Bedrohung noch nichts ahnen?
Aber auch in meiner Kirche sieht es nicht besser aus. Wie erwartet reagieren meine Brüder und Schwestern bestenfalls mit Skepsis, wenn ich vor dem Schwarzmagier warne. Ich versuche, sie aufzurütteln, dass wir die Vorhut sein müssen, ganz so wie es unser Gott in den Höheren Sphären ist. Wir müssen herausfinden, wo er und seine Anhänger stecken und was sie planen. Wenn wir erst warten, dass sie sich zeigen und Praioten und Rondrianer sich ihnen entgegenstellen, werden wir untergehen.
Doch niemand hört auf meine Worte. Alle sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht und sehen keinen Gewinn für sich selbst in dieser Sache. Es war mir noch nicht einmal möglich, die drei Tempel Gareths zur Zsuammenarbeit zu bewegen, und auch nicht die zwei größeren Tempel Fasars. Wie soll es mir da erst möglich sein, eine Zusammenarbeit über Regionen hinweg aufzubauen.

Was mich am meisten schmerzt, ist, dass ich mich von Eslam werde entfernen müssen, der mir stets ein guter Mentor war. Aber im anderen Tempel Fasars hörte man nicht auf mich, weil man mir vorwarf, ein Speichellecker des Vogtvikars des Sternenturms zu sein; und auch Jamilha ließ mich fallen, ich sei doch nur Schoßhund der Geweihten Fasars.
Außerdem hat Eslam deutlich verschiedene Ansichten darüber, wie die Einheit der Kirche zu vollziehen sei. Diejenigen mit der größten Erfahrung in der Jagd müssten die Führer sein, also seinesgleichen, aber besonders er selbst.
Es blutet mir das Herz, wie er die Visionen, die ich während meiner Weihe hatte, mit einer Handbewegung wegwischt. Dabei brauchen wir wahre Einigkeit. Es reicht nicht, einen Führer zu wählen, der dem Rest sagt, wo es langzugehen hat. Es müssen tatsächlich alle Strömungen zusammenarbeiten, Hand in Hand, ihre Ressourcen teilen und ihre Bemühungen koordinieren.
Oh Herr, sende mir ein Zeichen, ich bitte dich. Ich weiß nicht, was ich tun kann, um den Geweihten das vor Augen zu führen. Aber mir wird schon noch etwas einfallen - ich hoffe schnell.



Etwas Schreckliches ist geschehen. Etwas, das mich an allem zweifeln lässt, was ich bisher geglaubt habe.
Wahrscheinlich habe ich einem fünfzehnjährigen Mädchen alle Lebensfreude geraubt und dafür gesorgt, dass sie nie wieder wird einem Mann vertrauen können. Ich habe dieses Mädchen brutal vergewaltigt; anders lässt es sich nicht beschreiben, ohne es zu beschönigen. Dabei hätte alles so schön sein können.
Wir verstanden uns gut, vom ersten Augenblick an. Da war eine Anziehung zwischen uns, wie ich es selten erlebt habe. Ich wusste, sie wollte es auch. Aber ich war blind, konnte die eindeutigen Signale nicht lesen. Bei RAHja, ich hätte schwören können, dass sie älter gewesen wäre, nicht viel jünger als ich, und erfahren. Ich glaube, sie spielte die Zurückhaltende, die erobert werden will, wie ich es schon so oft erlebt habe, mit Charissia, und Alissa, und auch Thalya. Ich war mir sicher, dass sie sich gewehrt hätte, wenn sie es nicht gewollt hätte. Richtig gewehrt, meine ich, nicht nur dass sie sich gewunden hat und versuchte, mich wegzuschieben. Ich kann es nicht erklären, was über mich kam. Warum mich der anfänglich so starke Widerstand nicht störte. Ihr verzweifeltes Sich-Winden. Warum mir das Blut nicht auffiel.
Wie um der Götter Willen konnte es dazu kommen? Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Sicher, ich wurde in Versuchung geführt, das weiß ich jetzt, und ich wusste es auch, noch ehe ich im Tempel war. Die Bilder, die ich sah, die mich erregten, mein Blut kochen und mein Herz schneller schlagen ließen, waren nicht meine eigenen. Das war nicht mein Wunsch nach Gewalt, Schmerz und Unterwerfung. Wenn man mich gelassen hätte, hätte ich das Mädchen und auch Shaewen auf bestialische Weise geschändet und wahrscheinlich auch umgebracht. Und es hätte mir Vergnügen bereitet.

Ich bin entsetzt davon, zu was ich imstande bin, und ich ekele mich vor mir selbst. Ich weiß, dass nicht alles nur durch die dämonische Versuchung kam. Wo es nichts gibt, können auch die Widersacher der Zwölf nichts ausrichten. Sie brauchen Schwächen, an denen sie ansetzen können. Und ich habe eine solche.
Wie oft ist es schon geschehen, dass ich die Kontrolle verloren und mich an einer Frau "abreagiert" habe? Das erste Mal bei der Humusdschinni, der ich versprochen habe dazu beizutragen, dass das Leben sich verbreitet und vermehrt. Eine außergewöhnliche Situation, in der man so etwas vielleicht rechtfertigen könnte.
Aber es folgten noch so viele weitere Male mit anderen Frauen: Fayrishe, Thalya, Ripunta, die Ferkina. Immer hatte ich Glück und die richtige Frau bei mir, die meinen Kontrollverlust als außergewöhnliche Leidenschaft deutete. Und jetzt war es einmal die Falsche. Dafür brauchte es gar keine Erzdämonin. Danach hat sie mit allen Mitteln versucht, mich umzudrehen, aber was ich der Kleinen angetan habe, kam allein von mir und hat ihr nur in die Hände gespielt.

RAHja hat mir deutlich gezeigt, was ein Frevler zu erwarten hat, und jetzt liegt es an mir, Buße zu tun und um Vergebung zu bitten.

Doch so einfach liegt die Sache nicht. Für das Mädchen ist es zu spät, egal, was ich tue. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen, so sehr ich es mir auch wünsche.
Ich habe in den Spiegel gesehen und meine eigene dunkle Seite dort gesehen. Wie kann ich also weitermachen wie bisher und mich arrogant zur moralischen Instanz aufschwingen? Wie kann ich von den Geboten der Zwölfe predigen, wenn ich selbst nicht in der Lage bin, sie einzuhalten? Wenn ich selbst einen solchen schwarzen Kern besitze? Wäre das nicht Heuchelei?
Wie kann ich Atres warnen, seine Macht nicht zu missbrauchen? Wie kann ich Heridian dafür tadeln, dass er stets den einfachsten Weg geht, aber nicht den Göttergefälligsten?

Bis ich mir nicht über einige Dinge mich selbst betreffend klar geworden bin, bis ich nicht von RAHja Vergebung erhalten habe, werde ich keine Liturgien sprechen und mich PHEx auch nicht auf andere Art nähern. Zwar hat ER mir seine Kraft nicht genommen, doch schäme ich mich, als sein Diener so gehandelt zu haben, und ich möchte nicht mit diesem Makel auf meiner Seele vor ihn treten.

Ich werde aber weiterhin meiner Aufgabe nachgehen, worin auch immer sie bestehen soll. Atres ist völlig verwahrlost und verwirrt zu mir gekommen; sein Zeichen quält ihn erneut, seit Wochen schon. Es hat ihn von Shea weg zu mir getrieben, und es drängt ihn weiter in Richtung Norden. Wir werden also gemeinsam aufbrechen. Heridian ist informiert; für mehr bleibt keine Zeit. Ich bete, dass Shaewens Amulett mich vor ihr zu schützen vermag.


Eine Weile lebe ich nun schon mit dem Zweiten Zeichen. Mittlerweile hat es mir einige Tiere gezeigt, die zum Teil meine Erwartungen bestätigt haben, teils aber auch sehr überraschend waren.
Das erste Tier, das ich sah, war ein großer Hund, der mich hechelnd ansah. Er erschien über dem Haupt des Magiers Dschelef ibn Jassafer.
Als nächstes erschien mir die Tiergestalt der Seele (?) meiner Frau Drachgard: Während wir über meine gefährliche Mission sprachen und sie mir Vorwürfe machte, erschien über ihr durchscheinend ein Nagetier, von dem ich glaube, dass es ein Biber ist.
Die ersten beiden Male, dass ich die Schlange um Mithilfe bat, war in Baburin, als ich gerade Nostromo und Thalya das Zeichen zeigte. Dadurch, dass ich gleich zwei Personen hintereinander betrachtete, fiel mir auf, dass es doch recht anstrengend für mich ist. Das Zeichen zaubert zwar eigentlich, aber ich muss mich dennoch auf die Person konzentrieren.
Über Nostromos Haupt thronte ein majestätischer Löwe mit imposanter Mähne, der mich ruhig, aber interessiert und aufmerksam betrachtete. Thalya dagegen war eine schlanke, junge Löwin, die sich unruhig umsah, bereit, davonzuspringen und die Welt zu untersuchen. Das war insofern wenig überraschend, und es erklärt auch, warum beide so gut zusammenpassen.
Als nächstes versuchte ich, einen Blick auf Eslams Wesen zu werfen, was mir aber nicht gelang. Nichts geschah, stattdessen schnellte Eslams Kopf herum, und er kündigte mir an, die neuerliche Aufladung des Artefakts bezahlen zu dürfen. Wie zu erwarten ist er also vor Magieeinwirkung gut geschützt. Später stellte ich fest, dass auch die Schlange nicht mit einem solchen Widerstand gerechnet hatte, denn sie blickte recht verwirrt drein. Ich staune immer noch, wie eine Schlange - noch dazu eine Tätowierung - eine solche Mimik hervorbringen kann.
Diese Mimik bekam ich übrigens auch bei Jamilha zu sehen. Wie an einem neuen Ort üblich, verließ mich das Zeichen auch in ihrer Kammer, während wir schliefen. Als ich am Morgen erwachte, hörte ich ein lautes Klatschen - Jamilha hatte meine Schlange geschlagen. Das Zeichen war daraufhin kurz wieder flächig wie auf meiner Brust, ehe es wieder zu einer richtigen Schlange wurde und eine urkomische Mimik an den Tag legte.
Atres wäre wohl wenig begeistert, wenn er wüsste, mit wem er da in einem Haus lebt. Als ich Jamilha begrüßte und fast unwillkürlich untersuchte, beäugte mich ein großer Nachtwind misstrauisch. Ich war sehr überrascht, hätte ich den Nachtwind doch nicht wirklich als Tier kategorisiert.
Shea war dann richtig langweilig dagegen: Als sie in der Küche arbeitete, sah ich ein anderes Nagetier, wohl einen Hamster, der aussah, als würde er seine Vorräte inspizieren. Sie ist eine unglaublich liebe Frau, aber im Vergleich zu Jamilha erscheint sie mir einfach nur blass.
Aber ich schweife ab. Jetzt, da wir wieder beisammen sind, konnte ich mich nicht beherrschen und habe mir auch einmal meine Gefährten näher angesehen.
Noch vor Greifenfurt, als wir in einer Taverne zu Abend aßen, untersuchte ich Atres. Er weilte in Gedanken und so nutze ich einige ruhige Augenblicke. Über seinem Hut erschien durchscheinend ein Falke und putzte sich das Gefieder. Ob er wohl beim Nachdenken seinen Geist aufräumte? Von der Zeichnung her vermag ich den Falken nicht genauer einzuordnen. Es ist jedenfalls kein Sturmfalke, denn dieser ist in Brehms Tierleben dargestellt, und einen solchen habe ich bei Uthred gesehen. Ich habe ihn beobachtet, wie er abends am Feuer die anderen studierte. Der Vogel beobachtete mit demselben scharfen Blick seine Umgebung. Es war fast schon ein wenig unheimlich.
So leid es mir tut, bei Heridian musste ich fast laut lachen. Er saß inmitten der anderen, auch der Praioten, und gab gerade eine seiner Heldengeschichten zum besten. Als ich die Schlange bat, erschien auf seinem Kopf ein kleiner Singvogel, den ich nicht genauer einordnen kann. Sein Gefieder ist stellenweise abwechselnd rot und schwarz. Er machte einen unglaublichen Lärm für seine Größe, hüpfte aufgeregt und plusterte sein Gefieder auf. Ich weiß nun wirklich nicht, was ich davon halten soll.
Seine Partnerin passte nun gar nicht dazu. Ogara saß mürrisch wie immer in seiner Nähe und behielt an seiner statt die Umgebung im Auge. Ihr Tier ähnelte einer Khoramsbestie; es war ähnlich zerzaust und verwildert. Immer noch nicht das, was man für einen edlen Recken erwarten würde, aber besser als der Vogel, denke ich.
Marizia dagegen lieferte keine große Überraschung - verschlagenes Wiesel, das versucht nicht aufzufallen.
Als letztes untersuchte ich Hüter Emmeran - ich hoffe, der Götterfürst möge mir meine Neugier vergeben. Hier im Kloster habe ich nicht den Mut und den Unverstand, das Artefakt anzuwenden. (Wahrscheinlich fühlt es sich hier ohnehin schon nicht wohl.) Aber während der Reise konnte ich nicht an mich halten. Bei Emmeran sah ich ein Grautier. Nicht gerade das, was man von einem Praioten erwarten würde. Wenn man andererseits bedenkt, wieviel der Arbeit im Kloster er allein erledigt. Ich war überrascht, bei ihm überhaupt etwas zu sehen - das Bild war nur ein wenig unklar. Da war Eslam deutlich besser geschützt als dieser Praiot. Aber Eslam ist ja auch ein Jäger.


Zwei Dinge:
Marizia kam zu mir, weil sie eine Vision meines Todes außerhalb von Greifenfurt hatte. Was sie den anderen nicht sagte, und was ich auch nicht verraten werde, ist, dass sie auch meinen Mörder sah - Heridian.
Als ich es erfuhr, wer es sein sollte, war ich sprachlos. Sicher, Heridian und ich sind bei weitem nicht so gute Freunde, wie es Atres und ich sind. Wir haben unsere Differenzen, so viele Dinge, die uns trennen. Aber würde er wirklich soweit gehen? Und wenn ja, weshalb? Die Warnung kam von PHEx selbst, also sollte ich sie mit dem nötigen Ernst bedenken. Niemals würde er mir solch eine Warnung zukommen lassen, wenn nicht wirklich die Gefahr bestünde, dass dieses Ereignis auch eintritt.
Oder stand Heridian doch nur für etwas viel Allgemeineres? Soll ich ganz generell daran denken, dass mir Freunde in den Rücken fallen könnten? Ich bin unsicher. Auf jeden Fall bin ich aber auch froh, Marizia in meinem Rücken zu wissen. Ich weiß, dass ich mich auf meine Glaubensschwester verlassen kann.

Die zweite Sache ist, dass ich mich frage, ob die Schlange, das Artefakt, eigentlich einen Namen besitzt. Hätte ich doch nur Luzelin gefragt. Aber vielleicht weiß es ja auch Gwynna. Ich würde ja gerne auch irgendeine andere Hexe fragen, aber wie und wo sollte ich sie finden? Ganz sicher nicht in der Nähe dieses Praios-Klosters.
Auf jeden Fall wäre es schön, dem Ding einen Namen geben zu können. Das Wandelnde Bild ist ja wohl nur eine Umschreibung für eine Tätowierung, die sich eigenständig bewegen kann.
Aber eigentlich haben doch alle tollen, wichtigen Artefakte einen Namen. Siebenstreich zum Beispiel heißt ja auch nicht nur "das Heldenschwert" oder so. Ob ich vielleicht in Bibliotheken etwas über das Zeichen erfahren kann? Ich habe meine Zweifel, wenn es doch von den Elfen stammt.


Gerade war ich draußen unter dem Sternenhimmel. Ich habe mir einen ruhigen Platz auf der Mauer gesucht, um ein wenig Abstand von den Klosterbewohnern und ihren strengen Regeln zu bekommen.
Aber die Vertrautheit, das Hochgefühl, das ich sonst verspüre, blieb heute aus. Stattdessen legte sich eine tiefe Melancholie über mich, die mir die Kehle zuschnürte. Ich musste so sehr an meine Weihe denken. An Seine Nähe. An den überwältigenden, unglaublichen Anblick des Sternenwalls. An all die kleinen Seelen, die dort leuchten und ein Bollwerk bilden gegen das Chaos der Niederhöllen. Als ich, geschützt von ihm, einen Blick auf diese Herrlichkeit werfen durfte und wusste - eines Tages würde auch meine kleine Seele dort leuchten. All dies war mir bisher ein ermutigender Gedanke und eine Sicherheit. Aber nun ist es fort.
Als ich noch RAHjas Segen hatte, glaubte ich, niemals ohne schöne Frauen und leidenschaftliche Nächte leben zu können. Nun bin ich dazu gezwungen - und ich sehe, dass es auch ohne gut geht. Mich schmerzt die Strafe für meinen Frevel, aber auf andere Weise, als ich zunächst glaubte. Die Sicherheit ist fort. Es heißt, Frevlern sei der Weg in die Paradiese verwehrt. Ist dem so?
Und könnte PHEx mich dennoch an den Sternenhimmel setzen, wenn ich meine Aufgabe zu Seiner Zufriedenheit erledige? Würde Er das überhaupt tun - wäre ich überhaupt wichtig genug?
Man lernt erst zu schätzen, was man hat, wenn man es verliert, so heißt es immer. Wie wahr diese alte Weisheit doch ist! Erst jetzt weiß ich zu schätzen, was die Herrin mir gab, da ich keine Gefühle, keine Freude mehr zu empfinden vermag. Sicher, im Augenblick fühle ich mich melancholisch, zu anderer Zeit war ich froh. Aber all das zeigt keine sonderlich große Intensität. Es gibt kein Himmelhochjauchzen mehr und kein verzweifeltes Weinen. Kein Kribbeln im Bauch, keine Erregung. Nichts.
Ich fühle mich seltsam leer.
Genauso verhält es sich mit anderen Dingen, beispielsweise dem Wein. Als ich mit Atres aufbrach und mir im Gasthaus einen Becher Wein bringen ließ, rechnete ich damit, er würde nach Wasser schmecken - aber das tat er nicht. Er schmeckte nach wie vor nach Wein. Dennoch fehlte etwas. Ich kann es kaum beschreiben. Es war nichts Besonderes mehr. Der Wein schmeckte nicht gut, aber er schmeckte auch nicht schlecht. Er schmeckte einfach nur. Der Geschmack berührte mich einfach nicht. Ich kann auch sehr wohl noch eine schöne Frau erkennen - aber ihre Schönheit lässt mich kalt.

Aber ich weiß, dass dies nur ein Tal sein wird. Es muss, den sonst hätte sie, die RAHja so sehr hasst, Erfolg gehabt. Mit Shaewens Hilfe werde ich mich gegen die Beeinflussung wehren und auch den Teil in mir unterdrücken, der der Dämonin willig folgt. Eine Weile mag meine Arbeit unter den Umständen leiden, doch nichts wird mich davon abhalten, die Aufgabe zu vollenden, die PHEx mir gegeben hat. Niemals werde ich aufhören, auf dieses eine große Ziel hinzuarbeiten, niemals werde ich zulassen, dass ich daran zweifle, es erreichen zu können.
Wir brauchen eine einzige Kriche, die Augen und Ohren offen hält und herausfindet, was er und seine Anhänger treiben, und ich werde sie schaffen.

Eigentlich dachte ich an einen Rat aus verschiedenen Geweihten unterschiedlicher Regionen und Strömungen, die sich in ihren Fähigkeiten ergänzen sollen. Sie sollten die Aktivitäten der Kirche steuern.
Aber durch Eslams und Jamilhas Reaktion und durch spezielle Gespräche mit meinem speziellen Freund in Gareth weiß ich jetzt, dass es so nicht möglich sein wird. Es wäre niemals möglich, sich auf ein oder zwei Hand voll Geweihte zu einigen, die die Sache in die Hand nehmen.
Wie soll es aber dann laufen? Ich denke, was wir brauchen, ist eine Führungsposition, und die haben wir schon - der Mond!
Wer auch immer das ist, derjenige wird die Leitung übernehmen müssen. Nur ihm würden sie sich unterordnen. Bei ihm wäre das Misstrauen nicht so groß, schließlich hat er schon alles, was ein Geweihter jemals erreichen kann - und alles andere könnte er sich nehmen.
Ich möchte den Mond nicht stellen, denn dann wäre ich neuer Mond, und dafür bleibt mir als Gezeichneter keine Zeit. Mal ganz abgesehen davon habe ich beträchtliche Zweifel, dass es mir überhaupt gelänge, den Mond zu finden. Stattdessen, so habe ich mir überlegt, werde ich weiter an einer Einigung der Kirche arbeiten. Spätestens wenn es einmal soweit ist, wird der Mond auf mich aufmerksam werden müssen. Vielleicht tritt er verdeckt an mich heran, dann kann ich ihm die Lage erläutern, und er kann die Leitung übernehmen.
Aber bis dahin wird es noch ein langer Weg sein, denn es wird auch nicht einfach sein, die Geweihten von der Notwendigkeit eines aventurienweiten Netzwerkes zu überzeugen, wenn der Mond es leiten soll.



Immerzu muss ich an Drachgard denken. Sie fehlt mir, und ich frage mich, was sie wohl tut, womit sie ihre Zeit verbringt.
Mittlerweile ist unsere Hochzeit einige Zeit her, und ich habe erkannt, dass sie nicht die Frau meines Herzens ist. Dennoch liebe ich sie auf gewisse Weise, ist sie doch die eine Frau, mit der ich einen Bund geschlossen habe, vor Rondra. Ich habe ihr geschworen, für sie da zu sein, und sie mir. Mir wird es warm ums Herz, wenn ich an sie denke, aber zugleich macht mich der Gedanke auch traurig.
Ich frage mich, warum nur alles zwischen uns so schwierig geworden ist. Sie wollte doch einen aufregenden Mann, der stets auf Reisen ist, die haarsträubendsten Dinge erlebt und von einer aufregenden Eroberung zur anderen zieht. Nun hat sie ihn und ist auch nicht glücklich darüber, sondern stört sich genau an dem, was sie haben wollte.
Genauso verlangte sie wütend, dass ich ihr von all unseren Erlebnissen bezüglich Borbarad erzählte. Das tat ich - nur damit sie mich danach wegen der Schlange aus dem Ehebett verbannte. Wo ist nun die Fürsorge und Unterstützung, von der im Eheschwur die Rede war?
Nächtelang war ich wach, blickte zum Sternenhimmel hinauf und grübelte über das Vergangene. Wie sehr hätte ich ihre tröstende Umarmung gebraucht, ihre zärtlichen Küsse, ihr aufmerksames Zuhören. Aber sie war nicht da. Ich wünschte, es wäre Jamilha, die in Gareth leben würde; ich weiß, sie würde mich nicht so im Stich lassen.
Aber ich muss ja zugeben, aufgrund der Umstände fällt meine Fürsorge für sie wohl auch nicht so aus, wie sie wollte. Aber was soll ich tun, wenn die Götter anscheinend eine große Tat von mir erwarten? Außerdem wusste sie, dass ich weiterreisen würde.

Tja, die Sache mit Dunja hat unserer Ehe wohl den Rest gegeben. Selbst wenn es ihr niemand gesagt hat - was soll ich ihr sagen, warum ich nach dem Ball nicht wieder aufgetaucht bin, wo ich tags darauf - an meinem Tsafest! - war? Als ich am 15. zurückkehrte, konnte ich es in ihren Augen sehen, dass sie auf mich gewartet hatte, dass sie etwas vorbereitet hatte, auch wenn sie nichts gesagt hat.
Wie soll ich ihr nur erklären, warum ich sie habe sitzen lassen? Wenn sie die Wahrheit erfährt, wird sie mich verlassen, das weiß ich. Selbst wenn RAHja selbst mich mittlerweile zum Heiligen gemacht hätte, wäre es ihr egal. Zu meinem Erstaunen schmerzt mich dieser Gedanke sehr. Ich habe wirklich Angst sie zu verlieren. Sie würde mir wohl kein Wort glauben, aber ich weiß, dass es so ist.

Zumindest weiß ich jetzt, warum die Liebe so eine zentrale Rolle im Gesang und in der Poetik einnimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur bei mir die Situation so verfahren sein soll. Da habe ich jahrelang eine Frau nach der anderen, bilde mir ein, niemals die wahre Liebe getroffen zu haben - und merke fast zu spät, dass es schon längst eine Frau in meinem Herzen gibt. Dann bekommme ich eine Ehefrau, die ich nicht haben will, und gerade als sich unsere Beziehung dahin entwickelt, dass wir uns gegenseitig aus dem Weg gehen und dem anderen völlige Freiheit lassen, da zerreißt es mir das Herz deswegen.

Was beneide ich Atres und Shea. Die beiden haben sich zwar nicht gesucht, aber trotzdem gefunden. Er konnte seinem Herzen folgen und mit der Frau, die er liebt, eine Familie gründen. Er hat keine Familie, die ihn in eine Ehe treibt, die er nicht will, und er und seine Frau umkreisen einander auch nicht, wie die Motten das Licht. Ständig haben wir Angst uns zu verbrennen und geben unser Bestes, den Partner davon zu treiben. Gleich danach blutet uns das Herz und eine Sehnsucht ergreift uns, die uns nicht in Ruhe lässt, ehe der andere nicht da ist. RAHja, warum tust du uns das an?



Ich fühle mich gut wie schon lange nicht mehr. PHEx hat mich nicht verlassen, sondern hält immer noch seine Hand schützend über mich.
Marizia war bei mir, Marizia rannte in dieselbe Richtung wie ich, kopflos in wilder Flucht. Aber ich fand die Höhle mit dem Praioten und dem Szepter! Ganz wie damals, als ich mich in Jamilhas Tempel freier bewegen konnte, als sie selbst, und Bastrabuns Hinterlassenschaften fand, leitet er mich auch jetzt. Trotz meiner schrecklichen Tat vertraut er mir. Oh PHEx, niemals werde ich dich enttäuschen, niemals werde ich ruhen, meine Aufgabe zu erfüllen, und sollte mir alles verloren gehen, was mir lieb und teuer ist. Der Glaube wird mich weiter aufrecht halten. Was sind schon weltliche Dinge gegen das Wohlwollen eines Gottes?
Ich werde nie verstehen, warum du mich ausgewählt hast, und warum so plötzlich und spät. Aber ich weiß, dass ich dieses Gefühl deiner Nähe niemals mehr missen möchte.

Du hast uns Menschen das wohl größte Geschenk gegeben, das wir je bekommen haben (vielleicht zusammen mit Hesindes Verstand und Vernunft): Selbstbestimmung.

Du hast uns gelehrt, nicht länger untätig herumzusitzen und darauf zu warten, dass das Schicksal uns herumwirft, sondern unser Schicksal in die Hand zu nehmen. Innerhalb der uns von den Göttern gegebenen Grenzen können wir uns frei bewegen - und weit darüber hinaus. Ich glaube fest daran, dass Eslam recht hatte, als er sagte, dir hätten wir es zu verdanken, dass wir auch den freien Willen haben, gegen die Gebote der Götter zu freveln - und dass dies eine gute Sache ist.
Was ist es wert, wenn die Menschen sich durch Zwang an die Gebote der Götter halten? - Nichts.
Wenn sich dagegen jeder Mensch von sich aus entscheidet, auf dem Pfad der Götter zu bleiben, ist das nicht wunderbar? Wenn sie den Geboten nicht folgen, weil sie müssen, sondern weil sie wissen, in ihrem Herzen fühlen, dass es der richtige Weg ist?

Wir haben in jedem Augenblick unseres Lebens völlige Entscheidungsfreiheit, wie es weiter gehen soll - müssen aber dann mit den Konsequenzen leben. Dafür gibt es keinen Weg, der unmöglich ist, weil er uns verboten sit. Können wir einige Dinge nicht möglich machen, so liegt das nur an unseren mangelnden Fähigkeiten, aber nicht an Einschränkungen durch die Götter.
Diese Entscheidungsfreiheit bringt natürlich auch eine große Verantwortung mit sich. Niemand vermag sich herauszureden, dass er auf bestimmte Weise handeln musste, denn man hat immer eine Wahl. Wenn man etwas tut, weil einem sonst der Tod droht, so mag diese Tat nachvollziehbar sein - dennoch hat man eine Entscheidung aus freiem Willen getan: Das eigene Überleben war wichtiger als alles andere. Es gibt keine Ausrede, dass man für die Tat, die einem in diesem Sinne das Leben rettete, nicht verantwortlich sein sollte. Man kann sich zum Beispiel immer entscheiden, ob man lieber den Tod wählt oder seine Prinzipien über Bord wirft.

Ich bin jedenfalls äußerst dankbar, jederzeit selbst Herr über meine Entscheidungen zu sein. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als dem Gott zu dienen, der uns diese Freiheit brachte. Leider gibt es immer wieder Menschen, die sich vor der Freiheit fürchten und sie rundheraus ablehnen. Sie scheuen sich davor, für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden. Deshalb suchen sie sich andere Menschen, die für sie alle Entscheidungen treffen und denen man, falls es schiefgeht, die Schuld zuschieben kann.
Und hier kommt PRAios' Ordnung ins Spiel. Nicht jeder ist ein Anführer, so dass er entscheidet, wer dazu fähig ist, und wer nicht. Bauer Alrik wurde von ihm an eine Stelle dieser Ordnung gesetzt, in der er keine Entscheidungen alleine treffen muss, sondern in der Sicherheit leben kann, dass andere sich schon um ihn kümmern werden.
Dennoch ist es natürlich möglich, dass jemand über die ihm zugedachte Rolle hinauswächst und doch anfängt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Diese Menschen mögen dem Herrn PRAios ein Graus sein, doch PHEx wird sie wohlwollend betrachten, da bin ich mir sicher.



Wir haben es geschafft - glaube ich - aber bei mir will keine rechte Freude aufkommen, und das liegt nicht an Rahjas Strafe.
Unglaubliche Dinge sind wieder einmal geschehen, die mein Geist kaum fassen kann. Ich habe Elementare gesehen, mindere Geister, Skelette und ganze Horden von Dämonen. Ich habe - am Rande - einen gewaltigen Astralsturm miterlebt. Wo eben noch ein PRAios-Kloster und ein prächtiger Tempel standen, steht jetzt kein Stein mehr auf dem anderen. Manchmal überlege ich mir, ob es nicht doch Vorteile hätte, über Heridians Geisteskraft zu verfügen - ich glaube kaum, dass er sich groß Gedanken über die Vorgänge machen wird, und damit wird er wohl auch viel leichter darüber hinwegkommen.
Aber ich sollte das lassen; XEledon würde mich wieder wegen meiner Arroganz ermahnen. Wo wir gerade dabei sind - ich frage mich, wo er bleibt.

Ich weiß gar nicht, wo ich überhaupt anfangen soll aufzuzählen, warum ich mich nicht freuen kann - es gibt so viele Gründe. Einer ist, dass ich immer noch nicht verstanden habe, was eigentlich vorgegangen ist. Was hat Borbarad bezweckt? Sicher, er wollte das dämonische Artefakt nutzen, darüber sollte der "Tempel" ein Fokus sein, der die Kraft zu ihm leiten sollte, die sich aus dem Knoten und der Verbindung ins Tal der Elemente ziehen ließ - glaube ich. Aber wofür? Und wie? Was hat es mit diesen seltsamen Elementartransformationen auf sich? Ich verstehe die Zusammenhänge immer noch nicht. PHEx, erleuchte mich!
Überhaupt habe ich die letzte Zeit für einen Diener des listigen sehr wenig verstanden. Wie viel habe ich mir doch auf meine Fähigkeiten eingebildet - wo waren sie jetzt?
Ein Dämon hat direkt vor meiner Nase sein Unwesen getrieben, und ich habe nichts bemerkt. Ich habe im Gespräch nach Anzeichen gesucht, nach kleinsten Hinweisen der Lüge, aber da waren keine. Zumindest keine, die ich erkannt hätte. Wir waren sogar zu zweit, wir hätten es sehen müssen!
Aber nein, ratlos sind wir im Kloster umhergetappt, von einem Ereignis hilflos zum nächsten getaumelt. Wir, Meister der Täuschung, wurden dreist getäuscht und wie Füchschen an der Nase herumgeführt.

Am schlimmsten war es im Tal der Elemente, nachdem dieser Archon Megalon uns über die Vorgänge im Kloster aufgeklärt hatte (immerhin wusste auch er nichts vom Dämon; zumindest hoffe ich, dass er es uns gesagt hätte, wenn er es gewusst hätte). Der Boden schwankte unter meinen Füßen beim Gedanken daran, wie blind und verständnislos ich gewesen sein sollte.
Aber schlimmer war die Erkenntnis, dass ich immer noch nichts wusste. Auch der Hohe Lehrmeister hatte uns zuvor vorsichtig gelenkt und uns Ideen untergejubelt - woher sollten wir wissen, dass der Druide nicht genau dasselbe gerade tat? Woher sollten wir wissen, wer nun auf unserer Seite stand? Wir konnten es nicht wissen, das ist das wirklich Schlimme an der ganzen Sache. Mit einer eisigen Faust im Magen tat ich, was der Druide von mir verlangte, aber ich tat es nicht, weil ich überzeugt war, das Richtige zu tun, sondern vor Hoffnung zitternd, dass wir nicht schon wieder manipuliert wurden, um bei einem "bösen" Ritual zu helfen. Ich war so verunsichert, wie ich es kaum jemals erlebt habe, und das war ein schreckliches Gefühl. Als die Schlange mir half, fühlte ich mich besser, denn das hätte sie wohl kaum getan, wenn es damit Borbarad geholfen hätte.
Aber kann ich mich wirklich darauf verlassen, dass sie es erkannt hätte? Und was, wenn es ein Ritual gewesen wäre, das Borbarad nicht in die Hände gespielt hätte, aber nur den egoistischen Zielen des Druiden gedient hätte? Hätte sie sich geweigert?

Ich wünschte, sie könnte mit mir sprechen! Verstehen tut sie mich und was um uns vorgeht sehr genau, das habe ich mehr als deutlich die vielen Male gesehen, die sie mich, als wir versuchten ins Tal zu kommen, vorwurfsvoll angeblickt hat. Ob sie aber überhaupt in der Lage ist, mit mir zu kommunizieren? Ich schätze nicht, sonst hätte sie es wohl schon längst getan. Seltsam, irgendwie war ich davon ausgegangen, sie könnte mit mir sprechen, weil sie mich ja auch versteht und meine Gedanken lesen kann.
Es ist ohnehin ein seltsames Ding. Ich verstehe wohl immer noch zu wenig von der Kosmologie und der Magie. Denn dieses magische Artefakt wurde ja anscheinend irgendwann von den Elfen erschaffen und weitergereicht. Wie kann es dann eine eigene Persönlichkeit besitzen? Überhaupt all diese Dinge, die man beseelte Artefakte nennt? Ist das wirklich eine Seele? Wenn ja, wie geht das ohne göttlichen Funken? Oder haben sie den? Wenn nein, woher haben sie dann die Persönlichkeit?

Wie alt das Zeichen wohl ist? Was es wohl alles schon erlebt hat? Ob es sich über mich junges Menschlein amüsiert?
Ich mag mein Zeichen. Vor allem wenn ich es mit Atres' vergleiche. Es scheint mir zumindest wohlgesonnen zu sein und mit mir zusammenzuarbeiten.
Ich könnte ihm stundenlang dabei zusehen, wie es sich über meinen Arm oder meine Hand ringelt - wenn es das denn so oft und so lange täte. Sie sieht wirklich prächtig aus die Schlange. Schade, dass ich sie auf meiner Brust nicht sehen kann. Und mit einem Spiegel würde ich mich seltsam fühlen. Aber sie ist ja schon deutlich aktiver geworden. Ein Zeichen, dass es jetzt richtig losgeht? Dass wir jetzt Schlag auf Schlag erwarten müssen?

Wir sind lebend aus der Sache herausgekommen, aber nicht heil. Ich dachte schon, ich hätte Marizia dort unten verloren. Ich glaubte, sie wäre tot. Aber sie lebt. Dafür hat ihr einer der Dämonen die rechte Hand abgeschlagen und eine dämonische Wunde hinterlassen, die verhinderte, dass die Hand geheilt werden konnte. Selbst die Humusdschinni konnte nichts mehr tun.
Es war ein schrecklicher Anblick, der mir Übelkeit verursacht hat - wie schlimm muss es dann erst für sie gewesen sein? Es ist unvorstellbar, was damit nun alles für sie wegfällt; was sie nicht mehr in der Lage sein wird zu tun. Und ausgerechnet die rechte! Sie scheint unter Schock zu stehen, denn sie hat bisher nicht wieder darüber gesprochen. Ich werde ihr helfen müssen, soviel ist klar. Ich hoffe nur, dass sie mich lässt. Vielleicht sollte ich mir Hilfe bei Shaewen suchen. Und ich sollte mir jemanden suchen, der über eine hohe Menschenkenntnis verfügt, und der mir sagen kann, was ich in Zukunft besser machen kann, worauf ich noch achten kann. Aber wen soll ich fragen? Meine Glaubensbrüder wären sicher eine gute Anlaufstelle, aber wie kann ich einerseits als der Gezeichnete auftreten, der die Kirche einen will, und andererseits um Lehrstunden bitten?
Ich denke, ich habe da schon jemanden im Sinn, doch graut es mir davor, was er wohl als Gegenleistung verlangen könnte. Zumindest muss er ein sehr guter Menschenkenner sein, denn ich habe das Gefühl, er leist in meinem Kopf wie in einem offenen Buch.


Ich frage mich, warum so ein großer Unterschied besteht zwischen mir und Atres. Wir haben beide dasselbe erlebt, wir sind die beiden ersten Gezeichneten, beide Auserwählte einer Gottheit. Und dennoch teilt er meinen Enthusiasmus nicht.
Ich kann ihm nicht verdenken, dass er zu Shea und den Kleinen möchte; auch ich fände es schön, all meine Geliebten und Kinder zu besuchen, vor allem Drachgard und Jamilha. Aber ich könnte nicht in den Armen einer Frau liegen und mich entspannen, mit dem Wissen, dass er schon wieder den nächsten Plan ausheckt und durchführt - und was passieren könnte, sollte er Erfolg haben.
Die Zeit drängt, das muss er doch auch wissen! Vielleicht geraten wir in einem Götterlauf in die nächsten Ereignisse um seine Pläne, aber vielleicht auch schon in einem Mond. Und dann möchte ich lieber vorbereitet sein und einige Verbündete hinter mir wissen.
Wie kann er das nicht sehen? Sein Zeichen warnt ihn doch und führt ihn zu Ereignissen, die mit Borbarad zu tun haben - wie kann er das ignorieren und auch nur daran denken, es sich entfernen zu lassen, und sei es auch nur im Scherz?
Er tut es, weil er nicht mit ganzem Herzen bei der Sache ist, und ich weiß nicht, warum. Er kämpft gegen Borbarad, indem er Widerstand organisiert, aber nur, weil er glaubt, das tun zu müssen weil die äußeren Umstände, die Götter und das Auge ihn auf den Weg zwingen, aber nicht, weil er von sich aus wirklich den Kampf aufnehmen möchte.
So kann das aber nichts werden! Solange er nicht aus sich heraus und aus freiem Willen und ganzem Herzen kämpft, wird er nie den nötigen Mut finden, die nötige Entschlossenheit und Kraft haben, um all das heil und aufrecht zu überstehen, was uns noch erwarten mag, da bin ich mir sicher.
Ich fühle mich, als wäre ich im Augenblick der einzige, der wahrhaft dagegen ankämpft, dass ER an Macht gewinnt. Wie soll ich den Rest der Welt dazu bringen, sich uns anzuschließen, wenn selbst meine engsten Gefährten zaudern und zögern?
Heridian und Ogara verziehen sich nach Punin, um dort im RAHjatempel zu entspannen, so als wäre nichts geschehen und als würde sie das alles nichts angehen. Marizia ist nach dem Verlust ihrer Hand am Boden zerstört und nur noch ein Schatten ihrer selbst. Und selbst der erste Gezeichnete hadert mit seinem Schicksal und wünscht sich lieber eine ruhige Zeit mit seiner Frau.
Das sind die Menschen, die alles miterlebt haben, Ihn und Seine Macht gesehen haben. Kann ich es da allen anderen, die ahnungslos sind, verdenken, dass sie nicht sofort begeistert Hurra brüllen und zu den Waffen greifen?
Ich muss schneller agieren und vor allem Atres endlich klarmachen, wie wichtig es ist, jetzt als Vorbilder voranzugehen und zu kämpfen. Das wird noch einige lange Gespräche brauchen, aber ich weiß, dass ich es schaffen werde. RONdra hat ihn nicht umsonst erwählt.
Und dann muss ich anfangen, weitere herausragende Persönlichkeiten aufzusuchen und auf unsere Seite zu ziehen. Ich kann nicht mit allen Menschen sprechen; meine Zeit und mein Einfluss sind begrenzt. Deshalb brauche ich entschlossene und charismatische Persönlichkeiten, die meine Botschaft weiter verbreiten. Wenn es mir gelingt, solche Leute von unserer Sache zu überzeugen, mag es uns gelingen, einen Widerstand zu organisieren, der verhindert, dass er überhauupt erst richtig in unserer Zeit Fuß fassen kann. Aber dafür müssen wir vor allem schnell agieren.


Delia hat mir aufgetragen, eine Liste der Menschen zu schreiben, die mir am meisten am Herzen liegen. Ich habe sie damals geschrieben, ehe Atres, Marizia und ich zu unserer großen Reise aufgebrochen sind. Jetzt nach der Versammlung habe ich sie mir wieder angesehen. Eiiniges hat sich getan in der kurzen Zeit, und die Reihenfolge hat sich etwas verschoben:
Ganz oben auf dieser Liste stehen gleich drei Personen: Nostromo, Jamilha und Mama. Das sind die drei Menschen, ohne die ich mir ein Leben kaum vorstellen könnte, und die ich über alles liebe.
Nostromo hat mir ein paar Mal das Leben gerettet; er ist dadurch, dass er niemals verzagt, ein strahlendes Vorbild für mich, der starke, aufrechte Löwe. Er würde mich niemals verraten, er ist der große Bruder, den ich nicht mehr habe, und der mich schützt. Er liebt mich, das weiß ich, und auf gewisse Weise ist es auch Liebe, die ich ihm entgegenbringe. Auf jeden Fall vertraue ich ihm bedingungslos.
Jamilha ist meine einzige Liebe, die Frau, von der ich träume, und mit der niemand mithalten kann. Sie ist einfach wunderbar, so klug, schön, selbstbewusst, aufregend, gewitzt - es gibt kaum einen Augenblick, in dem ich mich nicht nach ihr verzehre. Sie versteht mich, und sie ist auch nicht böse, dass ich im Augenblick nicht bei ihr sein kann, weil sie weiß, wie wichtig unser Kampf ist. Mit ihr während der Versammlung zusammenzuleben, war wunderschön; ich habe mich so gefreut, dass sie da war, obwohl sie ja sozusagen allein in ihrem Tempel ist. Bei RAHja, ich liebe dich, Sarjaban, meine schöne Tochter der Nacht - Jamilha bint al Laila.
Meine Mutter Caldja ist ebenfalls eine ganz besondere Frau. Sie war immer so zärtlich und fürsorglich, und sie ist auch jetzt noch bereit, mir alle Unterstützung zu geben, die ich brauche. Sie ist so schön! Ich liebe ihr helles Lachen, ihren schlanken Körper, ihre langen Haare. Mein Vater ist so ein glücklicher Mann, denn sie liebt ihn trotz allem innig. (Mein Vater scheint früher auch einmal so gewesen zu sein wie ich - kein Wunder, dass sie ihn zähmen konnte.)
Nummer 2 ist dann unangefochten Drachgard, schließlich habe ich nur mit einer Frau die Ehe geschlossen. Ich bin froh, dass wir dank Delia gewissermaßen einen Neuanfang machen konnten, uund ich hoffe, dass das gute Verhältnis, das wir im Hesinde des letzten Götterlaufes hatten, bestehen bleibt, auch wenn ich jetzt schon so lange nicht mehr bei ihr war, und auch mein 30. Tsafest nicht mit ihr gefeiert habe (dass ich den Tag überhaupt nicht gefeiert habe, wird es wohl nicht besser machen).
An dritter Stelle stehen drei sehr gute Freunde: Atres, mit dem ich jetzt schon so viel erlebt habe, und bei dem ich gar nicht mehr zählen kann, wie oft er mir den Allerwertesten gerettet hat. Die lange Reise mit ihm war angenehm, denn er ist ein guter Gesprächspartner. Er denkt viel nach und bekommt viel mit, und er scheut sich auch nicht mir zu sagen, wenn ich falsch liege - eine kostbare Eigenschaft bei einem Freund.
Auch Marizia habe ich während der Reise besser kennengelernt. So hat sie mir von ihrem Frevel erzählt, und ich habe ihr meine Untat gebeichtet. Sie ist extra aus dem Horasreich angereist und wacht jetzt über mich, das rechne ich ihr hoch an. Dafür werde ich ihr helfen, so gut ich kann, komme, was wolle. Es tut einfach gut, bei all diesen Dingen jemanden zu haben, der nach hinten blickt und einem den Rücken freihält.
Thalya mag zwar nicht die attraktivste Frau sein, zumindest nicht für mich (auch wenn ich trotzdem gerne mit ihr RAHja huldige!), aber ich mag sie dennoch sehr gerne. Sie ist so erfrischend naiv und impulsiv, aber dennoch nicht dumm. Ich spüre, dass sie so eine gute, reine Seele ist, wie man es selten findet. Ich bin froh, dass Nostromo so eine gute Frau "gefunden" hat.
An vierter Stelle folgen meine Lehrmeister, Geromar und "Eslam". Geromar war es, der mich damals aus dem Loch geholt und mir eine neue Aufgabe und damit einen Lebenssinn gegeben hat, und Eslam hat mich zu Phex geführt. Den beiden habe ich vieles von dem zu verdanken, das ich gelernt habe. Sie haben mich so viel gelehrt, nicht nur im speziellen, sondern auch über das Leben allgemein. Ich mag die beiden alten Männer, und ich bewundere sie für ihr Können. Beide waren mir mehr ein Vater, als es mein leiblicher Vater je war. Ich fürchte mich davor, sie zu enttäuschen, und ich muss zugeben, dass mich der Gedanke reizt, zu ihnen zu flüchten, wenn es mir schlecht geht, um Trost zu finden (was natürlich keiner der beiden gutheißen würde, denn ich bin kein Kind mehr, sondern ein Mann von dreißig Götterläufen, und sie haben mich seit jeher gelehrt, auf eigenen Beinen zu stehen).
Drei Frauen, die mir als wertvolle Berater zur Seite stehen, stehen an fünfter Stelle: Shaewen, Delia und Neetya. Shaewen hat mir durch die schwere Zeit geholfen, in der der Makel auf meiner Seele haftete, hat mich trotz meiner Tat mit offenen Armen empfangen und mir, dem Frevler, dem Täter, Trost gespendet. Delia hat mir die Augen geöffnet für einige Lügen, mit denen ich mich selbst lange getäuscht habe, und dafür gesorgt, dass Drachgard und ich uns so gut verstehen. Seit mehreren Götterläufen nun schon haben beide stets Zeit für mich, wenn ich Trost brauche oder jemanden, dem ich einfach von den schrecklichen Ereignissen erzählen kann. Bei den beiden kann ich wahrscheinlich mehr ich selbst sein, als bei irgendeiner anderen Person.
Neetya hingegen ist stets ein wenig entrückt, spricht nie in deutlichen Worten, und es ist mir unangenehm, dass sie mich als "den Auserwählten" ansieht. Dennoch suche ich gerne Rat bei ihr, besonders natürlich, wenn es um Dinge PHEx betreffend geht. Sie bringt mir die Mystik nahe, und ich liebe es, mit ihr über SEIN Wesen zu diskutieren. Sie hilft mir, meinen eigenen Weg zu finden, IHM zu dienen.
Darauf folgt - an sechster Stelle - ein Mann, den ich manchmal am liebsten in die Niederhöllen schicken würde. Vor einiger Zeit noch hätte ich ihn als unwichtig abgetan, aber spätestens mit der Versammlung hat sich das geändert (vor meiner Reise habe ich ihn nach langem Zögern auf den letzten Platz gesetzt). Ich hasse es, wie er mich manipuliert und mit mir spielt, der elende Intrigant, aber gleichzeitig fasziniert es mich, wie sehr er mich offensichtlich begehrt, und ich liebe es gleichermaßen, wenn er mich fordernd an sich drückt und wenn er mir zärtlich durch die Haare streicht. Wenn ich in seine blauen Augen schaue, werden mir die Knie weich. Oh RAHja, warum ausgerechnet ein Mann! Ich sollte mich wohl daran gewöhnen, dass es die Herrin gefügt hat, dass es eben doch eine Hand voll Männer gibt, die mich beeindrucken. Oh Gileach!
An siebter Stelle habe ich meinen Vater gesehen, ohne so recht zu wissen, warum. Seit meine Tante und auch meine Mutter gewisse Andeutungen gemacht haben, glaube ich, dass ich mehr von ihm habe, als ich immer dachte. Ich denke, ich habe wohl äußerlich mehr von meiner Mutter - auch wenn ich kleiner bin, so wie er, und seine grünen Augen habe - während ich wohl vom Charakter her mehr von ihm habe. Vielleicht war er ja auch einmal wie ich, vielleicht habe ich einige Halbgeschwister, vielleicht hat er sich irgendwann von meiner Mutter zähmen lassen und sich mehr von seiner Vergangenheit losgesagt, als ich es je tun würde. Wer weiß; ich werde es wohl nicht erfahren. Auf jeden Fall war ich überglücklich, als er mir nach dem Donnersturm-Rennen sagte, dass er sehr stolz auf mich sei.
An achter Stelle steht Azizelis, meine treue Ratgeberin PHExens, die ich jetzt schon so lange nicht mehr gesehen habe. Meine wilde kleine Hexe! Ich liebe die mystische Aura um sie herum. Ich liebe es, wie sie einfach auftaucht und genauso plötzlich wieder verschwindet. Sie ist wahrlich von PHEx gesegnet (und von RAHja auch).
An neunter und letzter Stelle stehen dann einige Personen, denen ich in inniger Freundschaft verbunden bin: vier von den Müttern meiner Kinder und Mharbal, mit dem ich mich auf meiner Feier so gut verstanden habe. Ich hoffe, ich komme bald nach Fasar; ich würde gerne noch viel von ihm lernen. Bei den Frauen handelt es sich um Fayrishe, mein Füchschen in Fasar, Ginaya, meine kleine Diebin aus Chorhop, Falena, meine Mystikerin aus Chorhop sowie Tiensu, die meine älteste Tochter in Gareth großzieht.

Damals stellte ich die Liste auf, und Delia fragte mich, mit wie vielen Personen ich geschlafen hätte. Ich war etwas überrascht, aber zählte durch, und es waren 13 (mit der aktuellen Liste wären es 14) von 19 (20), also ziemlich viele. Sie hatte eine interessante Theorie, und mittlerweile, nachdem ich viel darüber nachgedacht habe, glaube ich, dass sie wohl einen hohen Wahrheitsgehalt hat: Delia vermutet, dass ich wohl nicht in der Lage wäre, Zuneigung anders auszudrücken. Immerhin kann ich auf die Art so tun, als hätten wir nur unverbindlich Spaß am Rahjaspiel, aber eigentlich keine wichtige Beziehung.
Beziehungsprobleme hat sie mir ja ohnehin schon zur Genüge attestiert. Sie glaubt, weil ich als Kind nie eine dauerhafte erwachsene Bezugsperson hatte, könnte ich auch jetzt keine ernste Beziehung eingehen, aus Angst, meinen Partner zu verlieren, und würde eine geliebte Person immer wieder wegstoßen. Andererseits soll ich mich aber auch nach Zuneigung sehnen, und deshalb hätte ich so viele rahjanische Abenteuer - um Zuwendung zu bekommen.
Ich weiß immer noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass sie bei der Sache ein größeres Problem sieht, als es wirklich gibt.


Immer wieder muss ich an meine Gespräche mit Eslam in Perricum denken, als ich einen klitzekleinen Blick auf sein wahres Wesen werfen durfte - nur ein einziges Mal. Er muss unglaublich alt sein. Die Magierkriege dürfte er nicht erlebt haben, sonst würde er sich wohl der Bedrohung gegenüber anders verhalten. Aber ich denke, dass er mindestens die Entführung des Mantels miterlebt haben muss. Das macht dann ungefähr ein Alter von 120 bis 400 Götterläufen. Es dürfte wenig geben, dass er noch nicht gesehen hat, wenn er davon spricht, dass "kein Mensch so lange leben müssen" sollte.
Ich hätte weinen mögen, als er das so sagte, als ich den Schmerz in seiner Stimme hörte. Hilflos nahm ich ihn in den Arm, aber wie erwartet reagierte er nicht. Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe ihm zu helfen!
Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, bringt er jetzt schon damit zu, gegen die Horden des 13. vorzugehen, immer nach Verrätern in seinem Umfeld schauend. Ob der Mann, der den Mantel stahl, ihm nahestand?
Niemals darf er ruhen, niemals in seiner Aufmerksamkeit nachlassen, denn der Namenlose ist sicher sehr erpicht darauf, den Störenfried zu beseitigen.
Endgültig brach es mir das Herz, als er mir gestand, dass er mich beneide, weil ich es selbst nach all den Erlebnissen noch über mich bringe, Fremden völlig zu vertrauen, mich hinzugeben, völlig loszulassen. Ich weiß, was er meint, auch ich habe ja die Erfahrung machen müssen, dass man in keinem anderen Augenblick so verletzlich ist. Er wohl auch. Verbittert sagte er, dass er diese Fähigkeit so zu vertrauen schon längst verloren hätte.
Ich war entsetzt und sagte nichts, hatte ich doch Angst, den Augenblick zu zerstören. So oder so war Eslams Panzer sehr schnell wieder geschlossen und ich mit meinen Gedanken allein.
Ich wünschte, ich könnte ihn nur irgendwie helfen. Ich frage mich, wie lange PHEx ihn wohl noch auf Dere lässt. Eslam hofft ja, dass es mit der Sache hier vorbei ist, aber das kann ich nicht glauben. Wenn wir Borbarad erst besiegt haben, werden wir geschwächt sein. Es sähe dem Verderbten doch ähnlich, sofort diesen Augenblick der Schwäche zu nutzen. Ausgerechnet in dieser Situation den höchsten Streiter gegen die Rattenkinder hier auf Dere abzuberufen, wäre einfach strategisch ungünstig.
Aber wer kennt schon PHExens Pläne? Vielleicht hat er ja schon einen Nachfolger aufgebaut oder anderweitig vorgesorgt?
Vielleicht weiß Eslam es auch schon. Wie ich überrascht feststellen musste, scheint er ja einiges von der Zukunft zu erahnen. So wusste er - nicht glaubte er - dass wir Borbarad besiegen würden, weil er nicht gewinnen könnte. Die Frage sei nur, wann, und wieviel er davor verwüsten könnte.


Ich bin immer noch ein wenig ratlos, was ich mit Atres machen soll. Mittlerweile habe ich mich damit zufrieden gegeben, ihn damit zu trösten, dass es schließlich auch die Welt für seine Frau und seine Kinder rettet, wenn er kämpft, statt bei Shea zu sein. In den langen Monden der Reise habe ich gemerkt, dass anderes bei ihm nicht fruchtet. Nun frage ich mich: Darf ich das von ihm verlangen oder überhaupt erwarten, dass er für die Götter und das Große Ganze streitet, und nicht nur für seine kleine Familie?
Ich habe immer noch große Probleme damit nachzuvollziehen, wie er überhaupt so denken kann. Ich finde, es ist egoistisch so zu denken: Eine dunkle Bedrohung bricht über die Welt herein, aber ich sehne mich so sehr nach meiner Familie, die ich jetzt schon seit anderthalb Götterläufen nicht gesehen habe, soll doch ein anderer kämpfen. Ich rege mich nur, weil es auch meine Liebsten betrifft, für den Rest streite ich nicht.
Natürlich ist das himmelweit übertrieben; ich weiß, dass Atres niemals so denken würde. Dennoch, seit anderthalb Götterläufen gebe ic mir alle Mühe, ihm aufzuzeigen, welche Schrecken die Welt zu überrollen drohen, wie es vielleicht zu den zweiten Magierkriegen oder sogar noch Schlimmerem kommem kann, wieviele unschuldige, brave Menschen sterben werden müssen, so wie es in Dragenfeld tobende Kinder, fürsorgliche Familienväter und fleißige Mütter getroffen hat. Gerade er sollte das doch als schrecklich empfinden. Wie aus unserer heilen Welt eine zu werden droht, in der die Gebote der Götter mit den Füßen getreten werden, und die Sitten verrohen.
All diese Gedanken scheinen ihm keine große Motivation zu verleihen, egal, was ich rede, mondelang, und dabei denke ich, dass ich doch so schlecht nun auch wieder nicht bin, wenn es darum geht, andere zu motivieren. Wie ich schon einmal schrieb: Er schließt sich zwar dem Kampf an, aber nur, weil man es von ihm verlangt und es sonst keiner tut - oder wegen Shea und den Kindern.
Verstehen kann ich es nicht, wie er die Augen vor all dem anderen Unheil verschließen kann, wie er jammern kann, dass er nicht bei Shea ist, wenn ein Schwarzmagier droht, die ganze Welt ins Verderben zu reißen?
Aber darf ich denn erwarten, dass er so reagiert wie ich? Mir ist durchaus bewusst, dass es einen Unterschied zwischen den Geweihten als Streitern oder Auserwählten der Götter und dem gemeinen Volk gibt. Selbst unter den Geweihten wird man wohl Unterschiede finden, in dem was man von ihnen fordern darf, aber im Prinzip sollte jeder Götterdiener bereit sein, sich auf seine Weise der Finsternis entgegenzustellen, alles zu geben für die göttliche Ordnung.
Vom einfachen Volk aber kann man diese Ansicht nicht verlangen. Diese Leute haben niemals die Göttlichkeit eines der Zwölfe oder ihrer Verbündeten erlebt und damit so einen kleinen Blick auf das Wunder der Schöpfung werfen dürfen, wie es auch mir vergönnt war. Statt des großen Ganzen sehen sie nur ihr kleines Leben und das Wohl ihrer Liebsten, woran es auch nichts Schlechtes zu finden gibt.
Die Geweihten sind ja gerade dafür da, ihre Schäfchen zu hüten, so dass diese ungestört und ohne Sorgen über kosmische Zusammenhänge leben können. Gäbe es diesen Frieden für den größten Teil der Menschheit nicht, was wäre es dann überhaupt wert zu schützen? Nein, es ist gut, dass die Menschen ohne Sorgen leben können, und ich kämpfe dafür, dass es bleibt.
Unter was fällt nun aber Atres? Ein Geweihter ist er zwar nicht, aber nach eigenen Aussagen gab ihm die Göttin einst das Leben wieder, und ich selbst erlebte mit, wie die Stürmische ihm die Verdammnis vergab. Damit ist klar, dass er wohl eine Art Auserwählter RONdras ist - und ich weigere mich, ihm damit die gleichen Prinzipien einzuräumen wie den "normalen" Menschen, immerhin sollte er sich doch jetzt der Göttin als würdig erweisen. Aber ist dem wirklich so? Ist es überhaupt wichtig, aus welchen Gründen er kämpft? Tief in meinem Herzen glaube ich, dass die Antwort "ja" lautet.
Wir sind die Guten, die für die Zwölfgöttliche Ordnung streiten - wie sieht es denn aus, wenn wir kämpfen, weil sich sonst niemand findet? Wir sind, wie mir scheint, auserwählt, als Vorbilder voranzugehen, aber wie sollen wir andere Streiter motivieren, wenn wir selbst nur mit halbem Herzen dabei sind und nur an unsere Liebsten denken, anstatt an das Wohl aller, das von unserem Erfolg abhängt? Wäre das nicht enttäuschend für einen Auserwählten?
Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich hier zu hohe Maßstäbe anlege, vor allem für einen Auserwählten RONdras.
Aber wie nur kann ich das Feuer in Atres' Herz tragen und ihm die Augen öffnen? Anderthalb Götterläufe habe ich mein Bestes gegeben - aber es war nicht genug.
Ich wünschte, Nostromo wäre hier, damit ich mit ihm darüber sprechen könnte. Ogara scheint mir nicht die Richtige dafür zu sein. Ich brauche deinen Rat, mein Freund! Auf jeden Fall muss ich mir mindestens eine zweite Meinung einholen, denn es widerstrebt mir, meinen Freund so zu manipulieren und aus ihm etwas zu machen, das er nicht ist.
Aber ist er das denn wirklich nicht? Oder erweckt es im Augenblick nur den Anschein? RONdra muss doch ihre Gründe gehabt haben ihn auszuerwählen?


Ich mache mir solche Sorgen um meine Freunde. Je weiter die Ereignisse voranschreiten, desto mehr wenden sich Heridian und Marizia von den Geboten der Götter ab. Noch mag es nicht schlimm sein, aber ich weiß, dass man solch eine Entwicklung im Ansatz stoppen sollte, sonst wird es sehr schwer, die Seelen noch zurückzuholen.
Marizia hat wieder einmal ihre Skrupellosigkeit gezeigt und einen hinterhältigen Mord verübt. Der mag gerechtfertig gewesen sein oder auch nicht, fakt ist, dass ein Soldat, der nichts für unsere Lage konnte, gestorben ist. Wieder einer mehr, der eigentlich auf unserer Seite kämpft, uns jetzt aber nicht mehr helfen kann.
Sorgen macht mir die Leichtigkeit, mit der sie das hinnimmt. Es musste sein, als was soll es, weiter geht es. Mit solchen Gedanken ist man auch schnell wieder bei der Sache, wenn es vielleicht doch irgendwann einmal nicht unbedingt nötig aber bequemer ist. Wir sind die Guten, die für die Gebote der Götter kämpfen, da steht es uns nicht gut, andere Menschen nur als Steine im Weg zu sehen und sie dann eben zu erschlagen. Hinter jedem dieser Menschen steht ein Leben, eine Familie, Freunde - und ein potentieller Verbündeter.
Ogara ist im Augenblick etwas besser drauf und verhindert immerhin BORon-Frevel, indem sie beständig darauf hinweist, dass wir im Auftrag der Boron-Kirche reisen und für diesen BORons Segen erhalten haben. Aber bei der Sache mit dem Diskus von Boran hat sie sich wie die Axt im Walde verhalten und unkontrolliert gewütet - und war dann auch noch stolz darauf, alle Gegner erschlagen zu haben. Dass sie, nachdem die sie fast umgebracht hätten, sauer war, war nur natürich, aber als Dienerin RONdras sollte sie sich soweit im Griff haben, dann nicht wie eine Furie unter die Gegner zu fahren und alle zu erschlagen. Sie wissen es nicht besser! Würde sie denn auch einen Bauern erschlagen, der aufgehetzt würde, sie sei eine Dienerin des Namenlosen, sie angriff und dann durch einen glücklichen Schlag verletzte?
So viel anders war die Situation nicht. Zumal die keine wirklich Gefahr waren. Sie und Heridian verbessern ihre Fähigkeiten ständig, um gegen Dämonen bestehen zu können, da können sie mir kaum erzählen, dass es nötig war, die Maraskaner alle brutal niederzuschlagen.
Heridian aber schlägt über alle Stränge. Nicht nur beteiligte er sich freudig an dem Gemetzel, danach schlug er auch - zum zweiten Mal nun - auf einen am Boden liegenden ein, als dieser vor Schmerzen winselte, weil Heridian ihm das Bein gebrochen hatte! Zuguterletzt kam er noch auf die Idee, einem der Toten die Rüstung auszuziehen, weil er seine ja nicht mehr hat. Ich war sprachlos, aber zum Glück hat Ogara schnell reagiert. Dabei hätte er nur auf die Götter vertrauen müssen, denn kurz darauf bekamen wir ja die Gelegenheit, uns drei Hartholzharnische zu erkämpfen. Aber nein, sein Drang zu raffen, scheint immer schlimmer zu werden.
Ich muss mit ihnen darüber reden, dringend. Ich muss ihnen vor Augen führen, was für Konsequenzen ihr Verhalten haben kann. Ich meine: Was ist denn der Grund, dass die Götter ausgerechnet uns ausgewählt haben? Warum beispielsweise ausgerechnet ein Rahjani als großer Kämpfer? Die Antwort erscheint mir in diesem Augenblick klar: Große, fähige Kämpfer gibt es viele, auch genügend mutige, entschlossene, leidensfähige, göttertreue. Aber das allein reicht nicht in diesem Kampf. Dazu komnen müssen noch andere Tugenden der Götter: Milde, Güte, Warmherzigkeit, Gnade, Vergebung. Diese sollten wir als Vorkämpfer der Götter auf Dere zeigen, als Vorbilder, die das Licht in der Finsternis sind.
Das ist es, was sie alle endlich sehen müssen.



Es tut mir so leid, Atres.
Mir blutet das Herz, wenn ich daran denke, wie wir mit ihm umgehen mussten. Aber ich - und ich bin mir sicher, das gilt auch für Ogara - hätte es nicht getan, wenn ich mir nicht absolut sicher gewesen wäre, dass es notwendig war. Er hatte die Wahl zwischen Eidbruch oder sehr wahrscheinlichem Tod. Er hat sich für letzteres entschieden, was zwar dumm ist, was ich ihm aber nicht verdenken kann.
Wir haben dafür gesorgt, dass er beidem entgangen ist, und gekostet hat es ihn nur eine blutige Nase. Ich hoffe, er sieht das auch so und nimmt es mir nicht übel.


Die Passfeste ist der erste wirklich sichere Ort, an dem wir seit langem waren - oder zumindest fühle ich mich hier gerade sehr sicher. Das mag auch daran liegen, dass ich mich ihm gerade sehr nahe fühle. Es war zugegebenermaßen schön, endlich einmal die Haut wechseln zu dürfen und ein anderer zu sein, der verwöhnte, draufgängerische Taugenichts - das war ich schon lange nicht mehr. Ich muss sagen, auch Heridian hat gut mitgespielt.
Nicht dass mir meine augenblickliche Rolle nicht mehr gefallen würde - ganz im Gegenteil - es war aber doch sehr schön, sie einmal kurz ablegen zu können. Und es hat mich ihm noch ein wenig näher gebracht.
Jetzt sitze ich hier an einem hohen Punkt der Festung; die Sterne und das Madamal über mir; den Dschungel, soweit das Auge reicht, unter mir. Es ist schon ein magischer Augenblick, und ich habe ihn auserkoren, um zu meditieren und mich IHM zu nähern. Wie oft, wenn es mir so geht, bin ich so glücklich; ich habe den absurden Drang, einfach zu springen und ins Tal hinab und über die Bäume hinwegzufliegen - oder hinauf zu den Sternen. Ob ich wohl auch einen Vogel als Seelentier habe, wie so viele meiner Freunde?
Es ist unglaublich, wieviel ich Ihm zu verdanken habe. Ich hoffe, Er nimmt mir den exzessiven Einsatz seiner Kraft in der Mine nicht übel. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Bisher habe ich mich immer selbst bemüht, immer versucht, allein zurechtzukommen, aber es gibt eben Dinge, denen bin ich allein nicht gewachsen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Er böse auf mich ist. Wenn doch, dann werde ich es wohl gleich merken. Das einzige, das ich mir vielleicht vorwerfen lassen muss, ist, es nicht gleich versucht zu haben, den Dämon zu exorzieren. Vielleicht hätte es ja funktioniert? Hätte ich es nicht wenigstens versuchen müssen? Zeit war wahrlich genug. Nur ob es gegangen wäre, ohne den Dämon zu sehen? Aber warum habe ich mir diese Liturgie beibringen lassen, wenn ich sie dann doch nie anwende, aus Angst, es ja doch nicht zu schaffen. Ich sollte es nächstes Mal in so einer Situation wenigstens versuchen.
Auf jeden Fall habe ich noch viel zu lernen in der Hinsicht.


So viel ist passiert, dass ich gar nicht mehr weiß, wo ich anfangen soll und ich wohl eine Weile brauchen werde, bis ich alles geordnet und sortiert habe - in meinem Kopf wie auch auf dem Papier.
Ich habe in eine Pforte in die Niederhöllen geblickt, mal wieder gegen Dämonen gekämpft, bin einer Dämonin durch den Limbus gefolgt, habe unter seltsamen Katzenwesen gelebt, andere seltsame Tiere gesehen, einer elenden Katze das Leben gerettet und mit ihr gekuschelt, einen elfgehörnten Dämon gesehen und vieles mehr. Und vielleicht habe ich einen Freund verloren.
Atres hätte mich in blindem Zorn erschlagen, wenn die Schlange nicht gewesen wäre, und ich kann es ihm noch nicht einmal verdenken. Ich hätte es sehen müssen, was sie vorhatte, aber ich habe in meinem Hochmut die Augen verschlossen und nicht weiter nachgedacht, weil ich mir ja so sicher war zu wissen, was sie plant. Dabei war es eigentlich so offensichtlich. Ob unser Verhältnis irgendwann einmal wieder normal werden wird? Ob er glaubt, dass was er gesehen hat, wahr ist?
Wahrscheinlich sollte ich mit ihm reden, wenn schon nicht um unserer Freundschaft willen, dann für das große Ganze, die Gezeichneten müssen schließlich einig stehen. Wer soll ihn weiter auf seinem Weg voranbringen, wenn nicht ich?
Ob er meine Unterstützung nun wirklich als Manipulation begreift, so wie sie es wollte? Dabei sollte er doch wissen, dass das nicht stimmt. Sicher, ich schiebe und dirigiere ihn manchmal sachte in eine Richtung, aber das sind doch alles Vorschläge. Wenn er nicht möchte, dann geht er eben einen anderen Weg. Außerdem will ich doch nur das Beste für ihn; ich helfe ihm doch nur, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und seiner Bestimmung zu folgen. Offensichtlich fühlt er sich ja auch besser, wenn er sich an und bei jemandem orientieren kann. Er muss doch verstehen, dass ich ihm nichts Böses will. Aber ich finde einfach nicht den nötigen Mut, ihn darauf anzusprechen. Zu groß ist die Angst, dass er mich abweist, weil er immer noch wütend ist und es auch bleiben wird. Wie so ein kurzer Augenblick langjährige Bemühungen zerstören kann!
Wie kann er nur glauben, dass ich solch ein Mensch wäre, dass ich ihn derart verletzen würde, dass ich ständig Frauen so etwas antun könnte? Dabei ist es doch erst ein paar Tage her, dass ich mich bereitwillig für ihn geopfert hätte, dass ich verhindert habe, dass er allein in die Fänge der Dämonin gerät. Mir war durchaus bewusst, dass sie mich innerhalb eines Augenblickes hätte töten können, wenn ihr gerade danach gewesen wäre. Wie kann er mir da nicht vertrauen? Wie kann er mir da mangelndes Vertrauen in ihn vorwerfen? Wie kann er sich da darüber beklagen, dass ich eben so meine Geheimnisse habe?
Ich bin nun mal ein Diener PHExens, und er wusste es, von Anfang an. Das ist wie als würde jemand Atres' Freund werden und sich dann darüber aufregen, dass er Magie anwendet. Das ist eben meine Art zu leben; er hat seine. Ich finde seine absolute Ehrlichkeit furchtbar - es gibt viele Dinge, die wollen wir, seine Freunde, vielleicht gar nicht so genau wissen. Trotzdem akzeptiere ich diese Eigenschaft und versuche auch nicht, ihn zu ändern. Das gehört eben zu ihm.
Ich kann auch nicht verstehen, warum er so sehr davon ausgeht, er hätte sich ja jetzt schon so oft phexgefällig verhalten. Es gehört deutlich mehr dazu, nach Phexens Geboten zu leben, als hin und wieder mal irgendwo einzusteigen. Es ist eine Lebenseinstellung, jeden Augenblick, jeden Atemzug. Mal ganz abgesehen davon, dass er den guten Eindruck mit anderen Aktionen wie bei seiner Verhandlung wohl wieder runterreißt. Naja, er ist zumindest deutlich phexgefälliger als Heridian und Ogara.
Er hat seine Fehler, ich habe meine, und ich hoffe, dass wir wieder werden darüber hinwegsehen können.

Worüber ich mir auch sehr viele Gedanken gemacht habe: Wie hätte ich an Atres' Stelle reagiert, als Heridian und ich an ihm hingen und lieber gestorben wären, als ihn mit einer Dämonin verschwinden zu lassen? Hätte ich es über mich gebracht zu sagen, dann töte meine Freunde, wenn sie mir so deutlich gemacht hätten, dass dies ihr Wunsch ist? Ich glaube nicht. Lieber hätte ich mich selbst von ihr in die Niederhöllen reißen lassen, als zuzulassen, dass sie bei dem Versuch mich zu schützen sterben. Egal, was ihr Wunsch gewesen wäre. Ich kann gut verstehen, wie sehr die Entscheidung Atres gequält hat. Andererseits hatte er nicht wirklich eine Wahl. Die Menschen um einen herum reagieren nun mal nicht immer so, wie man es gerne hätte. Ich weiß, dass er vor dieser Sache genauso für mich in den Tod gegangen wäre, wie ich für ihn (jetzt bin ich mir da nicht mehr sicher). Ich wollte das aber nie. Ich will überhaupt nicht, dass irgendjemand für mich stirbt. Und dennoch gibt es wohl einige Leute, die dazu bereit wären, und ich kann nichts dagegen tun. So ist das Leben.
Ich würde jedenfalls wieder genauso reagieren, denn ich weiß, dass Atres keine Schuld trifft. Ich selbst habe ja die Grundlage dafür geschaffen, dass sie ihn derart gegen mich aufbringen konnte.
Oh PHEx! Bin ich wirklich zu geheimniskrämerisch, wie er mir vorwirft? Sollte ich mich wirklich mehr öffnen? Meine Gefühle herauslassen? Aber widerspricht es nicht deinen Geboten? Und würde es nicht eher schaden, Atres demotivieren, wenn er sähe, welche Sorgen und Ängste mich manchmal quälen? Ist es nicht besser, wenn er sieht, wie ich immer weiter mache, fest im Glauben, dass wir es mit deiner Hilfe schaffen werden, unbeeindruckt von allen Schrecken? Nein, ich kann es nicht. Es gibt andere, die sich um mich kümmern; ich kann meine Sorgen nicht auch noch ihm aufhalsen, er hat ja immer auch genügend eigene. Ich bin sein Seelsorger (oder zumindest hoffe ich, es wieder zu werden), ich kann mich nicht einfach so gehen lassen. Zumal fürs Jammern im Augenblick ohnehin keine Zeit bleibt.
Ich kann es einfach nicht. Mein Innerstes gehört mir, mir allein, ich möchte nicht, dass irgendjemand erfährt, wie es dort aussieht. Dabei weiß ich es selbst nicht so genau, warum das so ist, aber es fühlt sich einfach nur falsch an. Vielleicht kann ich gar nicht mehr anders. Wenn man selbst Jagd auf die Geheimnisse anderer Leute macht, hütet man wohl die eigenen von selbst besonders gut. Seit fünfzehn Götterläufen nun schon habe ich nichts Anderes getan, als mein eigenes Ich möglichst gut abzuschotten. XEledon hatte schon recht, als er mir vorwarf, ich wisse gar nicht mehr, wer ich selbst sei. Ob es dieses ursprüngliche Ich überhaupt noch gibt? Oder ist es mit Gerndor damals gestorben udn wurde durch ein Neues ersetzt? Und wäre das denn schlimm?
Ich finde nicht. Ich mag meine Fehler haben, aber ich gebe stets mein Bestes. Ist es nicht egal, wer ich einmal war? Und meinen Freunden kann es doch egal sein, ob ich für sie ein anderer bin als für andere. Ich bin immer für sie da, ich stehe für sie ein, das ist doch viel wichtiger.
Ich sollte mit Atres reden, den ersten Schritt und und versuchen, ihm das klarzumachen. Aber ich kann es nicht. Ich, der ich sonst auf alles und jeden einreden kann, traue mich nicht, auf meinen (ehemals) besten Freund zuzugehen. Ich habe Angst vor seiner Reaktion.


So hat es sich am Ende doch noch alles geklärt. Keiner von uns ist auf den anderen zugegangen, aber nach den Tagen, ja, Wochen, in denen wir uns aus dem Weg gegangen sind, müssen die Götter ein Einsehen gehabt haben. Ich glaube, wir haben uns wohl noch nie derart gestritten, zumindest wohl kaum auf eine Art, dass wir mit unserem Gebrüll in der Lage gewesen wären, ein ganzes Schiff zu wecken. Es wird wohl noch einige Zeit brauchen, bis wir einander wieder völlig vertrauen können, zu tief sitzen die Verletzungen. Aber ich glaube fest daran, dass es wieder so werden wird. Zumindest ist unser Verhältnis im Augenblick recht normal.
Für einen Augenblick war ich drauf und dran, ihm für immer den Rücken zu kehren, aber dann hat mich die Vernunft doch wieder zurückgerufen - auch wenn ich bitter enttäuscht bin. Dass er mich töten wollte, kann ich ihm nicht vorwerfen, und danach war ich zwar entsetzt und geschockt, aber nicht wirklich verletzt, so wie es jetzt der Fall ist.
Ich habe mich ihm für einige Augenblicke geöffnet, ich habe ihm alles detailliert erzählt. Dass muss ihm doch gezeigt haben, wie sehr ich ihm vertraue. Nie zuvor habe ich das auf diese Weise getan, und es fiel mir verdammt schwer. Und ich werde es nie wieder tun, nicht, nachdem er sich die Wahrheit magisch erzwungen hat. In dem Augenblick glaubte ich wirklich, er wäre nicht mehr bei klarem Verstand. Jetzt bin ich nicht mehr wütend, sondern einfach nur enttäuscht, dass er sich zu so etwas hat hinreißen lassen.
Dennoch werde ich mich um unser Verhältnis bemühen, denn es muss weitergehen - und er ist mein Freund, der eben auch einmal Fehler macht. Ich kann nicht so tun, als wäre ich ohne solche. Und irgendwo hat es mich doch gerührt, wie sehr er sich sorgt. Ein wenig hat er wohl auch recht. Zumindest hätte er ein Recht darauf gehabt, von meinem Frevel zu erfahren.


Viel ist geschehen, und es geschieht immer mehr. Die Ereignisse folgen immer schneller aufeinander, und manchmal habe ich Angst, dass es mich hinwegspült. Die Dinge sind in Bewegung, aber immerhin halten nun die Mächtigen die Zeit für gekommen zu handeln.
Eben vertreiben wir uns noch die Zeit in den Tulamidenlanden, dann heißt es auch schon: Sie kommen! Ich muss schon zugestehen, dass mir an manchen Tagen dort Borbarad, seine Anhänger und all das sehr weit weg erschienen. Es machte Spaß, relativ unbeschwert in der Geschichte zu graben.
Nun gut, es gab da Attentäter und andere Irre, aber zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mich das nicht im Geringsten mehr schreckt. Man gewöhnt sich wohl daran. Dabei hatte ich eigentlich niemals so unbeteiligt auf solche Ereignisse reagieren wollen wie Eslam. Nun ja.
Dann folgten die Chimärenüberfälle, die Festung im Khoramgebirge und unsere Wanderung durch die Globulenwelten - inklusive eines Wiedersehens mit Borbarad. Aber all dies war nun wieder so groß, so ungewöhnlich, dass es mir heute mehr wie ein schlechter Traum vorkommt. All diese Horden an Chimären und Ferkina - ich weiß nicht.
Anschließend war ich blind - verdammte Hexe! - und das war keine gute Erfahrung. Mein Augenlicht ist nun einmal enorm wichtig für mich, das ist mir nicht erst in diesem Augenblick bewusst geworden. Wie soll ich Informationen sammeln, wenn ich nichts sehe? Ich kann keine Gesichtszüge und keine Mimik lesen, mir nicht das Aussehen von Personen merken, nichts lesen und so weiter. Ja, meine Freunde mussten mich vorsichtig herumführen. Nein, so etwas möchte ich wahrlich nicht noch einmal erleben.
Schließlich besuchten wir das Orakel von Altaïa, und nun bin ich hier in Perricum, und all die trügerische Ruhe hat ein Ende - Mendena ist gefallen, sagt das Schwert der Schwerter. Es geht los. Ich dachte immer, ich würde glücklich über diese Nachricht sein. Immerhin musste sie unweigerlich kommen, und nun hat das Warten ein Ende. Doch da ist nur ein eisiger Klumpen in meinem Bauch. Es geht los, und das fühlt sich gar nicht gut an.

Das Orakel war auch so eine Sache. Wir haben viele Antworten erhalten, aber auch noch mehr Fragen nun. Borbarad ist kein Mensch, aber was ist er dann? Überraschend war auch, dass das Orakel verkündete, dass es nicht Rohal sein wird, der uns rettet, sondern die Gemeinschaft. Deshalb ist wohl auch meine Aufgabe so wichtig; ich muss eine große Gemeinschaft schließen, die Borbarad entgegentreten kann.
Das mir das zum Teil schon gelungen ist, habe ich nun gesehen. Und dabei muss es noch nicht einmal immer von mir ausgehen, dass die Gemeinschaft zueinander findet; mein bisheriges Reden hat wohl auch so schon viel bewirkt, dass die Menschen zueinander finden.
Eslam hat mich hier auf der Löwenburg aufgesucht und mir von einem geheimen Treffen der Kirchenoberen berichtet, an dem auch Ayla von Schattengrund teilnahm, weshalb sie auch zu spät kam. Das Treffen war wie gesagt ganz in PHExens Sinne abgelaufen, und die wenigen Teilnehmer waren gebeten worden, nur ihre engsten Vertrauten davon in Kenntnis zu setzen.
Ich betone das so sehr, weil Eslam MIR davon erzählt hat. Er war der einzige anwesende Geweihte von uns, und er kam direkt von Gareth mit Ayla hierher, um mir davon zu berichten. Es war fast Gefühl für mich, als hätte ich mich verliebt. In dem Augenblick wollte ich ihn einfach nur umarmen. Es bedeutet mir sehr viel, dass er mich als seinen engsten Vertrauten sieht. Eigentlich bedeutet es mir schon sehr viel, dass er mir überhaupt vertraut. Sicher, ich bin sein Schüler, aber davon hat er offensichtlich einige, und ich behaupte einmal, die anderen sind besser "erzogen". Ich bin wirklich sehr ergriffen.
Das Treffen war sehr wichtig, die Mitschrift (die es eigentlich gar nicht geben dürfte, aber Eslam hat ja ein exzellentes Gedächtnis) hat mir auch etwas bewusst gemacht, das ich bisher nicht gesehen habe. Die Nandus-Geweihten brachten die Sache zur Sprache, aber mir war wohl bewusst, von wem der eigentliche Impuls dafür ausgegangen war. Sie sagten, die Geweihten würden seit der Zeit der Priesterkaiserschaft während ihres Noviziats aufgebaut, aufrecht durch die Welt zu gehen, erhobenen Hauptes ihren Glauben weiterzugeben, Selbstbewusstsein zu zeigen. Doch eine Fähigkeit, die nicht mehr weiter gegeben wird, ist die, sich auch als Diener eines Gottes als fehlerhafter Mensch zu sehen und etwas gegen die eigenen Schwächen zu unternehmen.
Dabei konnte Eslam natürlich darauf verweisen, dass das bei uns etwas anders gehandhabt wird, und tatsächlich, die Lehre bei Eslam war nicht einfach, und er hat mir jeden noch so kleinen Makel schmerzlich vor Augen geführt. Aber gerade PRAios- und RONdra-Geweihte werden doch zu Stolz und Hochmut erzogen, da muss ich ihm schon recht geben. Und genau das ist ein gefährlicher Angriffspunkt für Borbarad, und es hat wohl auch schon Überläufer in diversen Kirchen gegeben. Nun sollen jedenfalls auf die Schnelle möglichst viele Geweihte durch BORon- und RAHja-Priester behandelt werden, in der Hoffnung, ihnen ihre charakterlichen Schwächen bewusst zu machen. Bin ich froh, dass ich dort nicht hin muss, wie wohl mir ein Aufenthalt bei Eslam, der jeden kleinen Fehler bemerkt, immer sehr gut tut.
Oh, ich wünschte, ich könnte ihm auch nur einen Bruchteil von dem wiedergeben, was er mir gegeben hat. Ich musste natürlich das Orakel (also gewissermaßen PHEx) zu seiner Zukunft befragen, und die Antwort war wie erwartet: Eslam wird gehen können, wenn PHEx es wünscht, nicht anders. Das aber kann wohl noch eine Weile dauern.
Ich wünschte, ich könnte ihm Trost spenden, doch vermag ich das doch sonst fast nur auf körperliche Weise - aber ich kann Eslam ja noch nicht einmal in den Arm nehmen!
Ich frage mich auch, ob es wohl schon immer so jemanden in seiner Position gegeben hat. Vielleicht folgt er einer Tradition, die seit Bastrabun oder Rashtul besteht? Haben die Tulamidenlande vielleicht immer im Geheimen einen Wächter gehabt, der länger als die normale Zeitspanne eines Menschen lebte?
Eines ist jedenfalls klar: Von Eslam werde ich diesbezüglich keine Anwort erhalten.


Irgendwo muss ich zugeben, dass mein Respekt vor Ogara steigt. Ich bin mir nicht so sicher, dass ich ertragen könnte, was sie erträgt.
Ich habe ja mit beiden, Heridian und Ogara, getrennt darüber gesprochen, dass sie um jeden Preis gemeinsam darum kämpfen müssen, Heridians Menschlichkeit zu bewahren.
Doch wenn ich jetzt darüber nachdenke und sehe, wie die beiden damit umgehen, dass Heridian zur Echse geworden ist, dann muss ich sagen, war das doch sehr leicht gesagt im Vergleich dazu, es dann auch zu tun. Vor allem von Ogaras Seite aus.
Es kann wirklich nicht leicht für sie gewesen sein, hilflos diese Verwandlung mit ansehen zu müssen. Für uns als Freunde ist es schon schrecklich genug, wenn er einmal mehr Herzen aus der Brust der Toten verspeist, aber für sie ist es der Mensch, den sie liebt. Sie streicht über die Echsenschuppen, blickt in geschlitzte Augen statt in die Augen ihres Liebhabers, und wenn sie ihn küsst, spürt sie die gespaltene Zunge. Ich hätte nie gedacht, dass sie immer noch mit ihm RAHja huldigen würde, aber offensichtlich läuft da noch etwas. Das ekelt mich an, aber irgendwie fasziniert es mich auch. Sie muss wirklich unglaublich viel Liebe für ihn empfinden, wenn sie das alles so bereitwillig erträgt.

Die für mich wichtigste Frage ist nun: Wäre ich selbst bereit, könnte ich eine solche Aufopferung zeigen?
Ich weiß es ehrlich nicht. Es fällt mir schwer, mir eine solche Situation überhaupt vorzustellen. Doch wenn ich mich ehrlich analysiere, so denke ich, dass die Antwort wohl "nein" lautet.
Was, wenn Drachgard sich unaufhaltsam in eine solche Echse verwandeln würde? Könnte ich sie noch so lieben, für sie sorgen, wie ich es geschworen habe? Könnte ich sie noch liebkosen, sie küssen, mit ihr schlafen?
Was ist mit anderen Personen? Nostromo? Jamilha? Ich denke nicht, dass ich mich dazu überwinden könnte, die Freunden RAHjas mit einer Echse zu genießen. Ja, ich glaube, ich hätte sogar schon Probleme damit, weiterhin mit Atres hochgeistige Diskussionen zu führen, wenn er aus Echsenaugen zurückblicken würde. Sein rotes Steinauge ist schon irritierend genug.
Aber über Echsenschuppen streichen, eine Echse küssen? Nein, so viel Liebe bringe ich wohl nicht auf, für niemanden. Irgendwo beschämt mich diese Erkenntnis, und ich erinnere mich daran, wie meine Mutter mich in Fasar einen genusssüchtigen, selbstverliebten, verzogenen Bengel nannte (weil ich sagte, dass Frauen doch bitte selbst daran denken mögen, ihren Tee zu trinken).


Nun ist er doch eingetreten, der Augenblick, vor dem ich mich so sehr ängstigte: Schmerz ist in mein Herz eingetreten, und mit ihm die Angst. Ich spürte es genau, in jenem Augenblick, als ich Mharbal mit Augenklappe sah, er aufstand und sein Bein nachzog. Atres gab sich alle Mühe mich aufzumuntern, und mir ist es auch gelungen, ihn in dem Glauben zu lassen, ich hätte mich beruhigt - doch es lässt mir keine Ruhe. Das Schlimmste ist, dass ich noch nicht einmal weiß, warum mich nun ausgerechnet dieses Ereignis so trifft. Andere Menschen sind gestorben, auch solche, mit denen ich intim war, wie Hauka Wölfintochter. Dennoch muss ich wohl zugeben, dass Mharbal mir noch einmal mehr bedeutet - er ist mein Freund, und was wir nicht schon an Diskussionen über das Wesen unseres Gottes hatten! Er ist der zweite Auserwählte, zumindest deute ich Phexgeschwinds Worte während seiner Visionen so. Ich mag ihn so gerne, und wenn er nicht mehr da gewesen wäre, hätte mich das ungeheuer geschmerzt.
Vielleicht hat es mir doch erst richtig bewusst gemacht, wie verletzlich meine kleine, heile Welt doch ist. Mir war von Anfang an klar, dass auch unsere Seite Verluste haben würde, doch jetzt in diesem Augenblick ist mir wohl erst wirklich bewusst geworden, was das bedeutet. All die, an denen mir so viel liegt! Sie waren bisher noch recht weit weg von der Gefahr, vielleicht abgesehen von meinem Vater. Bisher stand nur ich immer dort, wo es gefährlich war, und ich habe PHExens Schutz, und außerdem meine Freunde, die hart im Nehmen sind und noch härter austeilen und mich schützen. Ich wünschte, es hätte so bleiben können; ich hätte es mit Freuden auf mich genommen.
Nun ja, Mharbal ist am Leben, und er kann IHM weiterhin dienen. Dennoch frage ich mich, wen ich wohl noch alles tot oder versehrt sehen werde. Vielleicht hat es auch sein Gutes, nach diesem Kampf zu PHEx zu gehen, damit mich all das nicht mehr kümmern muss. Was für ein selbstsüchtiger Gedanke, fällt mir da auf. Ist es das, was andere für mich empfinden? Die Sorge, die mich umtreibt? Vermutlich wohl.
So oder so, ich fühle, dass ich aus dem Gleichgewicht gekommen bin, schon lange vor dieser Erkenntnis jetzt. Mir passieren Fehler, die mir nicht passieren sollten. Fehler IHM gegenüber, und Fehler, die mein Leben kosten können, oder das von anderen - wie dieser BORon-Geweihte und die zwei Novizen. Ich fühle mich so fern von IHM - wie lange es her ist, dass mein Geist bei IHM verweilte, vermag ich schon gar nicht mehr zu sagen. Ich werde meditieren, wie Eslam es mir auch empfohlen hat, nachdem ich ausgerechnet vor ihm für einen Augenblick die Beherrschung verlor. Möge PHEx meinen Geist empfangen und mir den Frieden und das Gleichgewicht zurückgeben, das ich verlor.

Aber zunächst noch ein paar Worte zum Lichtvogel, der auch wieder Hoffnung in mein Herz gebracht hat, und der mir die ganze Schönheit der Welt erneut bewusst gemacht hat. Irgendwie fühlte es sich an, als wäre auch ein Teil von mir neugeboren worden.
Noch nie sah ich so etwas atemberaubend Schönes wie diesen Vogel mit den goldenen Schwingen, die überderisch schön glänzten. Diese uralten Augen, die mich sofort in ihren Bann schlugen. Die wirbelnden Tsafarben überall. Der Tanz der Elemente. Die Zeit schien plötzlich ganz langsam zu verstreichen, und ein Strahlen erfüllte die Welt. Alles andere verblasste, und es existierte nur noch der Lichtvogel. Irgendwie war es auch ähnlich meiner Weihe, als der Graue meiner kleinen Seele gewährte, einen Augenblick auf ein Wunder der Schöpfung zu blicken: den Sternenwall, der das Chaos zurückhält. Ein Augenblick, an den ich mich immer zurückerinnern konnte, und jetzt ist ein zweiter hinzugekommen. So wie ich damals PHEx so nahe war, spürte ich, wie wir in diesem Augenblick dem Schöpfer nahe waren - aber wohl nicht so nahe wie ich PHEx, sonst wären wir wohl wahnsinnig geworden.
Dennoch, wir waren ihm nahe, oder er uns, und niemals zuvor ist mir die Schöpfung so schön erschienen. Mich hat ein solches Glück durchströmt, als diese sphärischen Harmonien erklangen, die mich an fernes Wasserrauschen erinnerten. Mein ganzer Körper kribbelte, als wäre ich frisch verliebt, und ich konnte gar nicht anders, als mich in den Reigen der Elementaristen einzureihen und mich mit ihnen zu wiegen. In dem Moment hatte ich wirklich das absurde Gefühl, es würde nun auf ewig so weitergehen, weil ich meine Bestimmung gefunden hätte.
Doch dann war es vorbei; das war aber nicht schlimm, da dann die überderische Stimme des Allvogels erklang (eigentlich hörte sie sich mehr wie viele Stimmen an, die gemeinsam sprachen, aber kein durcheinander schreiender Chor, sondern ein wohl aufeinander abgestimmtes Ensemble). Wir erlebten nicht nur den Beginn eines Heldenzeitalters, nein, es war der Beginn eines Karmakorthäons, einer Zeit zwischen den Zeitaltern! Wir dürfen einen Teil des Übergangs erleben, wenn die Ordnung des Zeitalters zerfällt und dafür die Menschen die Ordnung ihres Zeitalters aufbauen müssen. Welch erhebender Augenblick - wer ist schon in der Lage, so etwas selbst zu erleben! Ich würde mir wünschen, auch das Ende dieses Zwischenzeitalters miterleben zu können, wüsste ich nicht genau, dass das bedeutete, eine lange Zeit der Kriege miterleben zu müssen.
Mit Sicherheit ist dies aber der endgültige Hinweis darauf, dass Eslam noch lange wird gebraucht werden (- vielleicht wird seine Nachfolgerin ja einmal Jamilha. Ob es schon einmal weibliche Hüter gab? - ), denn welch bessere Gelegenheit gäbe es für den Dreizehnten, die Macht an sich zu reißen, als die Weltzeitwende? Ob es das ist, wonach es Borbarad verlangt?


Azizelis bestand darauf, einen Blick in meine Zukunft zu werfen. Vieles von dem, was sie sagte, kam der Wahrheit unglaublich nahe und passte auf augenblickliche oder vergangene Situationen, aber einiges war auch rätselhaft und erschloss sich keinem von uns beiden. Zum Abschluss sagte sie zu mir:
Leomir, du bleibst nach dem Sieg am Leben, machst eine enorme Veränderung durch, wirst symbolisch oder wirklich wiedergeboren. Du suchst nach Wissen und spiritueller Ausgeglichenheit, aber Kämpfe kommen dir in die Quere und vieles an altem Wissen geht verloren. Ein Artefaktmagier und eine Gelehrte oder spirituelle Frau werden dir helfen, zu finden, was du suchst.
Du suchst die Nähe einer mystischen und einer sehr gefährlichen Frau, doch steht dir die Verwandlung im Kampf und eventuell beim Tod im Weg, vielleicht aber auch nur deine Pflichten. Helfen würde nur der Sieg über Borbarad und das Überleben, sowie das Festhalten an moralischen Prinzipien.


Man müsste ja eigentlich erwarten, dass mich nichts mehr überraschen könnte, so viel wie wir bisher erlebt haben. Aber trotzdem geschehen Dinge, die ich mir beim besten Willen nicht hätte vorstellen können. Wir sind in einer seltsamen Globule gelandet, nachdem Atres irgendeinen Fehler beim Transversalis-Zauber gemacht hat - obwohl ich mir nicht sicher bin, dass wirklich sein Fehler den Ausschlag gegeben hat. Immerhin sind wir alle früher oder später dort gelandet, obwohl wir eigentlich alle weit voneinander entfernt waren. Mich nahm aus obskuren Gründen Magister Vrook mit in die Globule, weil er glaubte, mich bei Atres' Rettung brauchen zu können; durch aus eine Sache, die man sich so vorstellen kann. Aber dass dann ausgerechnet auch noch Heridian auftauchte, als wir ihn brauchten, weil er eine seltsame Lichtsäule in den Sümpfen gesehen hatte und hineingesprungen war... Ich weiß nicht.
Wie auch immer, wir waren alle dort; Atres, der das Artefakt aktivierte, Heridian, der die Armee "ausrichtete" - und ich. Wofür ich nun genau gut war, weiß ich nicht, vermutlich aber ging es nur darum, die anderen zu warnen, keine leichtsinnigen und voreiligen Entscheidungen zu treffen.
Auf jeden Fall hätte ich gut und gerne auf den Aufenthalt in der Globule verzichten können, denn sie hatte nichts sonderlich Interessantes an sich. Atres gefiel sie hingegen wunderbar, aber Atres' Ansprüche sind auch andere als meine, weil er nun einmal andere Prioritäten vergibt, was sein Leben angeht. Solange Atres eine schwangere Frau oder Frau und Kind hat, um die er sich kümmern kann, ist er schon zufrieden und benötigt keine interessante Welt mehr um ihn herum. Für ihn war es eine wunderbare Auszeit, aber ich verstehe darunter Anderes.
Sicher, ich hatte Zeit, einiges von dem zu Papier (oder besser Papyrus) zu bringen, was mir schon seit geraumer Zeit im Kopf herumging. Aber auch das wäre fruchtvoller gewesen, wenn ich eine Bibliothek gehabt hätte, in der ich einige Dinge hätte nachschlagen können.
Was auch immer es war, es war auch eine wunderbare Gelegenheit zu sehen, wie schön doch Aventurien ist - mit all seinen Fehlern. Ich brauche einfach die Abwechslung, die die Vielfalt bringt, und nichts und niemand würde mich dazu überreden können, noch einmal längere Zeit in so einer öden Welt zuzubringen! Ich habe mich so eingesperrt gefühlt all die Zeit. Vermutlich war ich auch ein wenig ungeduldig, weil ich immerhin gerade von einer wichtigen Aufgabe weggeholt worden war. Zwar verstrich praktisch keine Zeit, aber dennoch konnte ich nicht einfach liegen lassen, was mich gerade beschäftigt hatte, sondern ich musste immer wieder daran denken. Immerhin macht mir meine Aufgabe bei den Zwergen auch Spaß; ich bin in einer relativ fremden Kultur, und es ist eine Herausforderung herauszufinden, was hier falsch ist. Außerdem weiß ich, wie wichtig meine Aufgabe hier ist. Da kann ich keine Unterbrechungen brauchen.
Wenn ich es mir recht überlege, habe ich ja auch die mir verbleibende Zeit recht genau durchgeplant.
Die Tage waren aber auch eine Qual, weil ich nun doch langsam nervös werde, wenn ich an das Ende denke. Eigentlich, wenn wir die Tage hier verbracht hätten, wäre jetzt schon alles gelaufen. Wenn ich so recht darüber nachdenke, dann möchte ich keinen Aufschub, um eventuell noch etwas länger am Leben zu sein. Ich möchte lieber, dass wir uns endlich Borbarad stellen können - oder er sich uns; das ist wohl Ansichtssache. Es ist nicht so, dass ich so viel Angst davor hätte, dass ich mir wünschte, es wäre endgültig vorbei. Aber mir gehen doch sehr viele Fragen durch den Kopf: Wie wird es letztendlich ablaufen? Werden alle unsere Verbündeten versammelt sein? Was für Truppen wird er versammeln? Wie sollen wir ihn letztlich überhaupt "besiegen"? Werden überhaupt alle Zeichen benötigt, oder habe ich meine Pflichten erfüllt, sobald die Armee erst einmal versammelt ist, und alle Seite an Seite streiten? Wenn nicht, was sollen wir und die Zeichen dann tun? Werden wir es dann eben wissen? Wie soll seine Rettung vonstatten gehen - sollen wir ihn erst niederprügeln und ihm dann aufzeigen, dass sein Weg der falsche ist? Oder wäre das nicht zu offensichtlich und billig? In den Prophezeiungen steht, dass Borbarad herrschen wird, wenn das Wandelnde Bildnis "seinen Weg beschreitet" - aber was bedeutet das? Dass ich mich ihm nicht anschließen darf? Aber warum sollte ich das jemals tun? Wie sollte ich jemals Verständnis dafür aufbringen, welche Gräueltaten er und seine Anhänger begehen? Wie könnte ich das vergessen, was XEledon mir verraten hat?

Ob ich wohl der Einzige bin, der sich solche Gedanken macht, oder ob die anderen es nur nicht zeigen? Ich habe das Gefühl, als wären sie viel stärker im Hier und Jetzt verankert und mit den aktuellen Problemen beschäftigt. Aber wen verwundert es schon, nach dem, was ich erfahren habe. Seit diesem Tag ist etwas an meinem Denken anders. Ich war PHEx so nahe, wie es wohl nicht viele Sterbliche sein können, und noch näher war ich ausgerechnet XEledon - wer spricht schon über solch kosmologische Zusammenhänge mit einem Gott; welcher Mensch erfährt schon von den Problemen der Götter, oder von ihren Beziehungen? Es scheint mir, als sei ich durch das Erlebnis verändert worden; als wäre etwas von der vielen Entrückung hängen geblieben udn bis heute nicht mehr verschwunden. Nie wieder habe ich mich seither allzu fern von ihm gefühlt, selbst in der Globule hielt es sich noch in Grenzen.
Wie es wohl typisch ist für diesen Zustand, fällt es mir leichter, in größeren Zeitrahmen und größeren Zusammenhängen zu denken, aber es fällt mir schwerer, Geduld für Alltagsfragen aufzubringen. Seitdem sind sie mir einfach nicht mehr so wichtig. Aber da ist auch etwas, von dem ich glaube, dass Atres es von mir denkt, auch wenn er es nicht direkt ausgesprochen haben mag. Bin ich zu zögerlich geworden? Denke ich zu viel nach, so dass ich in meinen Handlungen beschränkt bin? Lähme ich mich selbst zu sehr? Sollte ich wieder weniger auf meine Sorgen achten? Ich muss wohl schon sagen, dass ich recht glücklich war, die Entscheidung über den Einsatz der Echsenarmee Atres überlassen zu können. Natürlich wäre es auch nicht gut, sie einfach zu nutzen, ohne über die Folgen nachzudenken, aber kann es nicht sein, dass ich mir zu viele Gedanken gemacht habe? Habe ich zu weit gedacht? Sehen mich die anderen zurecht als ewigen Nörgler, der an allem etwas zu mäkeln hat, das schiefgehen könnte, und der deshalb einfach gar nichts mehr tut? (Wobei das ja auch eine ungünstige Entscheidung sein kann, die mehr zerstört, als es nützt...) Oder bin ich immer noch der vielleicht etwas nervige Moralapostel, der aber eigentlich im Kern recht hat?
Ich meine, muss es uns wirklich beschäftigen, wie sich eine unserer Entscheidungen in 500 oder 1000 Götterläufen auswirken könnte? Könnte die Welt oder wird die Welt sich nicht ohnehin bis dahin auf eine Art und Weise so sehr geändert haben, dass wir es heute nicht einmal ahnen können? Aber wäre es nicht auch falsch, nur bis zu unseren Enkeln zu denken? Ich weiß es nicht.
Natürlich haben wir auch oft den Fall, dass wir nur zwsichen "schlechten" Alternativen auswählen können. Aber ist es nicht einfach nur eine bequeme Ausrede, dass man sich für die einfachere Lösung entschieden hat, weil man ohnehin nur eine wenig optimale Entscheidung hätte treffen können? Ist es nicht ein wenig bequem, mit dem Argument des Lebensrettens einfachere oder für einen selbst günstigere Entscheidungen zu treffen?
Und spricht es dafür, dass ich zu viel grübele, indem ich mir solche Gedanken mache? Vielleicht steigt mir auch einfach nur das Bier zu Kopf, und ich sollte mich ins Bett begeben, wo Gileach bestimmt schon wartet.


So sehr ich auch versuche es zu ignorieren, es lässt mir keine Ruhe. Wenn ich eines in der Globule hatte, dann viel Zeit zum Nachdenken. Und immer wieder kam er in meinen Kopf, der Gedanke: Was wird mit mir geschehen, wenn wir Borbarad besiegt haben?
Wie es in der Natur der Sache liegt, sind Azizelis' Prophezeiungen widersprüchlich und vage, und es ist beides möglich, mein Tod, aber auch eine Art neues Leben im Dienste PHExens. Oder stellen der Tod und der Einzug ins Paradies ein neues Leben dar? Soll ich Eslams Platz einnehmen, wie er beharrlich behauptet? Und wie soll das gehen? Werden wir doch überleben, oder bekomme ich von den Göttern ein neues Leben? Wäre dann nicht TSA diejenige, die das zu entscheiden hätte?
Irgendwie hat der Gedanke etwas tröstliches. Sie hat es immerhin schon einmal getan - vielleicht wird sie es erneut tun? Auf Tatschluss der Götter und als Belohnung für uns, die wir so viel auf uns genommen haben?
Nicht dass ich dieses Geschenk selbst gerne hätte, aber für Marizia würde es mich freuen, für Heridian, der sein Leben in Menschenform und im Dienst der Göttin sowie mit Ogara erleben könnte, und natürlich für Atres, der doch noch einige Götterläufe mit Frau und Kindern zubringen könnte. Vielleicht wird es ja wahr?
Andererseits kann ich mir nciht so recht vorstellen, wie das wirklich funktionieren würde. Wäre uns nach all dem nicht ein normales Leben viel zu eng? Müssten wir nicht viel zu oft daran denken, als dass wir ein entspanntes Leben führen könnten? Ich weiß jedenfalls genau, dass das nichts für mich wäre, und ich wüsste auch gar nicht so recht, was ich denn tun sollte. Mal ganz abgesehen davon, dass er wenn dann ohnehin anderes für mich vorgesehen hat, als ein beschauliches Leben. Immerhin kommt ein Karmakorthäon direkt auf uns zu. So oder so, ich weiß nicht, wie es kommen wird, und ich glaube, ich spüre tatsächlich ein wenig Angst vor der Zukunft, obwohl ich weiß, dass ich sie nicht haben müsste. Was immer passiert, ER wird über mein Schicksal entscheiden, und ER hat es bisher stets nur gut mit mir gemeint. So lange haben wir diesen Augenblick herbeigesehnt, und jetzt ertappe ich mich dabei, mir zu wünschen, es bliebe noch ein wenig Zeit.